Arktisstaaten ringen um Hoheitsrechte im Eismeer

Kugluktuk/Ottawa, 3. August 2010. Die Arktis-Staaten nutzen das kleine Zeitfenster, das der kurze arktische Sommer bietet, um Daten über den Boden des Eismeers zu sammeln. Damit wollen die Anrainerstaaten ihren Anspruch auf Teile des Meerbodens untermauern. Vor allem die Aussicht, dort Bodenschätze zu finden, treibt sie um. Die Zeit drängt: Nur noch wenige Jahre haben die Arktisländer Zeit, ihre Ansprüche wissenschaftlich zu belegen und vor einem Fachgremium der Vereinten Nationen geltend zu machen.
In wenigen Jahren endet Frist, um Ansprüche auf die Nutzung des Meeresbodens erheben zu können

Klimawandel, Rückgang des Polareises und die Hoffnung auf Bodenschätze steigern das Interesse der Anrainerstaaten USA, Kanada, Russland, Norwegen und Dänemark-Grönland am Arktischen Ozean. Forschungsschiffe und Eisbrecher Kanadas, der USA und Russlands werden bis Mitte September das Nordpolarmeer durchkreuzen und die geologische Struktur des Meeresbodens untersuchen. Von den Resultaten hängt ab, ob ein Land Anspruch auf wirtschaftliche Nutzung des Meeresbodens erheben kann. „Wir liegen gut im Zeitrahmen und planen, unsere Daten Ende 2013 vorzulegen“, sagt Jacob Verhoef von der Geological Survey of Canada und dem für Bodenschätze zuständigen Ministerium. Verhoef leitet das wissenschaftliche Programm, das zeigen soll, wie weit das Kontinentalschelf Kanadas ins Eismeer ragt. Daran arbeiten auch die anderen Eismeer-Anlieger.

US-kanadische Kooperation

Von Kugluktuk im kanadischen Arktisterritorium Nunavut nimmt jetzt der als Forschungsschiff genutzte Eisbrecher Louis S. St. Laurent Kurs auf das  „Kanadische Becken“ nördlich der Beaufort-See. Dort wird die „Louis“ den US- Eisbrecher „Healy“ treffen. Beide Schiffe unternehmen zum dritten Mal gemeinsame Forschungsreisen. „Kanada und die USA arbeiten bei dieser Expedition zusammen, um den erweiterten Festlandssockel zu beschreiben“, sagt Brian Edward, Chef-Wissenschaftler auf der Healy. Seit Ende Juli ist zudem das russische Forschungsschiff „Fedorow“ in Begleitung des atomgetriebenen Eisbrechers „Jamal“ auf dem Weg in das Eismeer nördlich der sibirischen Küste.

Der „Wettlauf zum Nordpol“ ist vor allem ein wissenschaftlicher Wettstreit – trotz militärischer Drohgebärden der Russen und ihres Coups von 2007, als sie eine Flagge direkt am Nordpol versenkten, und der Muskelspiele der konservativen Regierung Kanadas, die das Land zur „Arktismacht“ erklärt hat. Der Anrainerstaat muss durch seismische Untersuchungen des Meeresbodens beweisen, wie weit dieser die „natürliche Verlängerung“ seines Kontinentalsockels ist. So fordert es die UN-Seerechtskonvention. Nur dann kann der Küstenstaat den Meeresboden über die 200-Seemeilen-Zone hinaus wirtschaftlich nutzen. Eine komplizierte Formel, bei der die Meerestiefe, die geologischen Strukturen und die Entfernung zur Küste berücksichtigt werden, bestimmt, wie weit die Hoheitsrechte reichen.

Es geht nicht um die Hoheit über das Meer

Dabei geht es nicht um die Hoheit über das Meer. Weder die Schifffahrt, noch der Fischfang oder die Grenzziehung im Meer sind von dem jetzigen Wettlauf betroffen. „Über die 200 Seemeilen hinaus ist und bleibt das Meer internationales Gewässer und Hohe See“, betont Verhoef. Es geht nur darum, ob ein Staat jenseits seiner 200-Seemeilenzone (etwa 360 Kilometer) den Meeresboden ausbeuten kann.

Dabei wird meist auf die Gas- und Ölvorräte verwiesen, die unentdeckt in der Arktis liegen. Die US Geological Survey (USGS) schätzt, dass 13 Prozent der unentdeckten globalen Ölvorkommen in der Arktis liegen könnten, zudem 30 Prozent der unentdeckten Gasvorkommen. Der Großteil der Vorkommen wird aber in Küstennähe vermutet, wo die Hoheitsrechte ohnehin meist geklärt sind.

Rohstoffe, Ziel der Begierde

Dennoch lockt die Aussicht, dass weitab der Küste Öl, Gas, Gold und Basismetalle liegen könnten, die Begierde. „Wir wissen noch nicht, was im tiefen Arktischen Ozean liegt“, sagt der Politikwissenschaftler Rob Huebert von der Universität Calgary. Aber die Erfahrung zeige, dass etwas gefunden werde, wenn man danach suche. „Dies ist die treibende Kraft bei den Bemühungen um die Ausdehnung von Hoheitsrechten.“

Bis zum geografischen Nordpol könnten allein Russland, Kanada und Dänemark-Grönland ihre Rechte am Meeresboden ausdehnen. Durch das Eismeer verlaufen der Lomonossow- und der Alpha-Rücken von Sibirien bis an die Nordspitze Grönlands und der kanadischen Ellesmere-Insel. Sie erstrecken sich von einem Kontinent zum anderen. Verhoef ist überzeugt: „Der Lomonossow- und der Alpha-Rücken sind die Verlängerung des nordamerikanischen Kontinents, wie es von der UN-Seerechtskonvention definiert wird.“ Die Russen wiederum behaupten, die Meeresgebirge seien die Fortsetzung ihres Festlandes. Beides ist möglich. „Die Frage ist dann: Wie teilen wir es auf, wo ist die Grenzlinie. Das geht über die Wissenschaft hinaus und muss durch Verhandlungen bestimmt werden“, sagt Verhoef.

Umweltschützer fordern Moratorium

Russland hatte bereits 2001 bei der Sockelkommission der Vereinten Nation seine Ansprüche auf weite Teile des Eismeers angemeldet, war von dieser aber aufgefordert worden, diese Ansprüche wissenschaftlich stärker zu untermauern. Nun wollen die Russen in drei bis vier Jahren neue Daten vorlegen. Dänemark-Grönland will ebenfalls in drei Jahren soweit sein. Auch die USA und Norwegen sammeln Daten, wobei die USA nicht Vertragsstaat der UN-Seerechtskonvention sind und für sie keine Fristen gelten. Kanadier, Dänen und US-Amerikaner haben schon mehrere gemeinsame Expeditionen unternommen. Mit Russland arbeiten sie in wissenschaftlichen Gremien zusammen. Im Mai 2008 hatten sich die fünf Arktisanrainer zudem verpflichtet, überlappende Gebietsansprüche friedlich und im Rahmen der UN-Seerechtskonvention beizulegen.

Angesichts der Ölkatastrophe im Golf sollte nach Ansicht von Umweltschützern  das Rennen um Bodenschätze und die potenzielle Förderung von Öl aus dem ökologisch sensiblen Arktischen Ozean ohnehin eingestellt werden. Selbst bei fortschreitendem Klimawandel und Abschmelzen der Polareiskappe im Sommer wird die Nordpolregion auf lange Zeit im Winter eisbedeckt sein – und zudem stockdunkel sein. Selbst die wirtschaftliche Nutzung der nahen Küstenregion wird dadurch erschwert, noch problematischer wäre die Rohstoffförderung auf hoher See. Der WWF fordert bereits seit Jahren ein Moratorium und auch Greenpeace tritt dafür ein, die Rohstoffe im arktischen Ozean vorerst ruhen zu lassen. Es sei nicht zu verantworten, dort nach Öl, Gas oder Mineralien zu suchen, meint Greenpeace-Mitarbeiterin Iris Menn. „Nicht zuletzt durch die Katastrophe im Golf von Mexiko wissen wir, was Ölförderung anrichten kann.“

Gerd Braune

 

 

 

© Gerd Braune
Die auszugsweise Übernahme dieses Textes ist nur mit dem Quellenhinweis „Gerd Braune/www.arctic-report.net“ gestattet. Die vollständige oder weitgehende Verwendung zur Publikation bedarf meiner vorherigen Zustimmung

Dieser Text erschien redaktionell bearbeitet unter anderem in folgenden Zeitungen:
Kölner Stadtanzeiger (5. August 2010),
Frankfurter Rundschau (5. August 2010),
Basler Zeitung (9. August 2010),
Stuttgarter Zeitung (9. August 2010),
Rheinpfalz, Ludwigshafen (16. August 2010),
Handelsblatt (18. August 2010)

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