Eisverlust beispiellos für vergangene 1450 Jahre
Ottawa, 24. November 2011. Die Arktis erlebt derzeit offenbar ihren größten Eisverlust seit rund 1500 Jahren. Zu diesem Ergebnis kommen Klimaforscher, die in einer Studie die Ausdehnung des Sommereises über Jahrhunderte rekonstruierten. Die Daten untermauern nach ihrer Ansicht die These, dass der Schwund des Sommereises mit der vom Menschen verursachten Erwärmung zusammenhängt.Wissenschaftler rekonstruierten Eisfläche bis ins siebte Jahrhundert
Trotz der Unsicherheiten im Datenmaterial „scheint die Dauer und das Ausmaß des gegenwärtigen Rückgangs des Meereises beispiellos für die vergangenen 1450 Jahre“, schreiben die Autoren unter Führung von Christophe Kinnard vom „Centro de Estudios Avanzadas en Zonas Aridas“ in La Serena in Chile und Christian Zdanowicz, Glaciologe beim Geological Survey of Canada in der kanadischen Hauptstadt Ottawa. Das Papier wurde jetzt online vom Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht.
In diesem Sommer hatte die Eisfläche der Arktis den Minimum-Rekord des Jahres 2007 gebrochen oder nahezu erreicht. Eine Forschergruppe um Georg Heygster von der Universität Bremen hatte errechnet, dass das Meereis am 8. September 4,24 Millionen Quadratkilometer und damit ein historisches Minimum erreicht habe. Das US-amerikanische Nationale Schnee- und Eisdatenzentrum hatte dagegen 4,33 Millionen Quadratkilometer ermittelt. Dies wäre seit Beginn der Satellitenmessungen 1979 die zweitgeringste Sommereisfläche. Beides ist im Langzeitvergleich dramatisch.
Vorindustrielles Minimum um das Jahr 640
Denn die Wissenschaftlergruppe um Kinnard und Zdanowicz hat rekonstruiert, dass selbst in früheren Phasen von Eisverlust die Eisfläche im Sommer mindestens doppelt so groß war. In der Arktis schmilzt das Eis im Sommer deutlich ab und erreicht im September seinen Tiefpunkt. Danach bildet sich wieder neues Eis. Die größte Eisausdehnung wird im Frühjahr erreicht. Es sei notwendig, die jetzige Entwicklung mit dem langfristigen Trend zu vergleichen, erläuterte Zdanowicz im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Wissenschaftler stützten sich dabei auf aktuelles Datenmaterial, auf Aufzeichnungen in Schiffsbüchern und auf Berichte etwa der Hudson Bay Company. Dies gab ihnen einen Einblick bis zurück ins 17. Jahrhundert. Darüber hinaus analysierten sie Eiskerne, die von Gletschern in Grönland, Spitzbergen und den kanadischen Arktisinseln gewonnen wurden, auf die Analyse von Baumringen und auf Sedimentproben. „Alle diese sogenannten Proxis enthalten Signale über das Klima“, erklärte Zdanowitz.
Die Forscher ermittelten, dass etwa um das Jahr 640 das vorindustrielle Minimum bei der Eisfläche erreicht wurde. Aber selbst damals hatte sie eine Ausdehnung von mindestens rund 8,5 Millionen Quadratkilometern. Vor 1200 habe es einen weiteren Intervall mit geringer Eisausdehnung gegeben, was mit der so genannten Mittelalterlichen Warmzeit übereinstimmen könne. Weitere „Episoden“ geringerer Eisflächen habe es im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert gegeben, schreiben die Forscher. Der seit Mitte der 1990er Jahre zu beobachtende Rückgang liege aber deutlich unter der Bandbreite natürlicher Schwankungen.
Weiteres Indiz für menschliche Ursachen des Klimawandels
„Der Rückgang in den vergangenen 30 Jahren scheint beispiellos“, meint Zdanowicz. Er führt das auf den Zufluss wärmeren und salzhaltigeren Wassers aus dem Atlantik in den Arktischen Ozean und den Temperaturanstieg in der Atmosphäre zurück. „Wir sehen eine Erwärmung von oben und von unten“, meint er. Diese deutlichen Veränderungen könnten nicht allein auf natürliche Prozesse und Schwankungen zurückgeführt werden. „Wir nehmen an, dass das vermutlich die Antwort auf Treibhausgas-Erwärmung ist“, meint er. Der Schwund des Sommereises habe wahrscheinlich auch anthropogene, also vom Menschen herbeigeführte Ursachen, sagt er vorsichtig.
Kanada gehört mit seinem Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen zu den schlimmsten Klimasündern. Die Regierung des konservativen Premierministers Stephen Harper hat seit Amtsantritt 2006 ihre Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll missachtet und wird sich auf der Klimakonferenz in Durban der Fortschreibung des Kyoto-Protokolls widersetzen.
Gerd Braune
© Gerd Braune
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