Sheila Watt-Cloutier:
Das Recht auf Kälte

Iqaluit, 6. März 2008. Das Leitmotiv für Sheila Watt-Cloutiers Handeln ist einfach und überzeugend. „Wir müssen dem Klimawandel ein menschliches Antlitz geben“, sagt Sheila Watt-Cloutier, eine Angehörige des Volks der Inuit. Abstrakte Debatten über Klimawandel stören sie. Für sie geht es nicht nur um Technologien, um den Kohlendioxidausstoß zu reduzieren. „Es geht um Menschen, Familien und Kulturen“, lautet ihr Credo.

Einsatz für die Lebensbedingungen der Menschen in der Arktis

Die Inuk-Frau Watt-Cloutier ist die profilierteste Vertreterin ihres Volkes im Kampf gegen Klimawandel. Von der Terrasse ihres Hauses in Iqaluit, Hauptstadt des kanadischen Arktis-Territoriums Nunavut, überblickt sie die Frobisher Bay, die früher monatelang solide gefroren war, jetzt aber immer länger eisfrei ist. Sie ist durch die ganze Welt gereist um mit ihren Reden aufzurütteln. Das versteht sie. Wenn sie spricht, muss man zuhören.

Klimawandel ist ein Menschenrechtsthema

„Für ein Volk, dessen Kultur auf Kälte beruht, ist Klimawandel ein Menschenrechtsthema“, sagt sie. Selbst in Kanada seien die Inuit „kaum auf dem Radarschirm“ der Politiker. Für die Menschen im Süden hat Schnee und Eis etwas mit Freizeit zu tun. „Hier aber geht es um unseren Supermarkt. Eis ist unsere Straße, um zu den Nahrungsquellen zu kommen.“

Sheila Watt-Cloutier wurde am 2. Dezember 1953 in Kuujjuaq in Nord-Quebec geboren. Ihr Kindheit verbrachte sie traditionell – auf dem Land, unterwegs mit dem Hundeschlitten. Sie besuchte Schulen in Nova Scotia und in Churchill in Manitoba, studierte in Montreal und arbeitete als Übersetzerin – von Englisch in die Inuit-Sprache Inuktitut – in einem Krankenhaus im Norden Quebecs. In den 90-er Jahren beeinflusste sie maßgeblich den Aufbau eines stärker auf Inuit ausgerichteten Schulsystems.

Dann begann ihr Aufstieg auf die internationale Bühne: 1995 wurde sie Präsidentin der kanadischen Section der Inuit Circumpolar Conference (ICC), des Dachverbandes der Inuit Kanadas, Alaska, Grönlands und Sibiriens, danach Präsidentin des Dachverbandes. Sie vertrat die Inuit bei den Verhandlungen, die zur Stockholmer Konvention über das Verbot langlebiger Umweltgifte wie PCB und DDT führte, und sie sprach auf internationalen Konferenzen über die Folgen des Klimawandels für ihr Volk.

Bedrohung für Kultur und Traditionen

Watt-Cloutier spricht vom „Recht auf Kälte“, das die Inuit haben. Die Ureinwohner der Arktis sehen nicht nur die Tierwelt bedroht, die einen Großteil ihrer Nahrung liefert. Kultur und traditionelles Leben der Inuit werden von der Jagd auf dem Land und auf dem Eis, das immer brüchiger und unzuverlässiger wird, geprägt. Karibuherden ändern ihre Wanderwege. Robben verlassen angestammte Gewässer. Tiere und Pflanzen, die nie in der Arktis zu sehen waren, tauchen auf. Küsten, an denen Inuit-Siedlungen stehen, erodieren, weil der Permafrostboden auftaut.

Wegen ihres Einsatzes gegen Klimawandel wurde Sheila Watt-Cloutier, die zwei Kinder und einen Enkelsohn hat, mit dem früheren US-Vizepräsidenten Al Gore für den Friedensnobelpreis 2007 vorgeschlagen, der schließlich an Gore und das Wissenschaftlergremium IPCC ging. Die aktive Politik hat Sheila Watt-Cloutier 2006 verlassen, ihren Kreuzzug aber setzt sie fort. Sie kämpft dafür, dass die Inuit „nicht nur machtlose Opfer und ein Volk sind, das zur Fußnote der Geschichte wird“.

Gerd Braune

© Gerd Braune
Die auszugsweise Übernahme dieses Textes ist nur mit dem Quellenhinweis „Gerd Braune/www.arctic-report.net“ gestattet. Die vollständige oder weitgehende Verwendung zur Publikation bedarf meiner vorherigen Zustimmung

Dieser Text erschien redaktionell bearbeitet
am 11. März 2008 im Luxemburger Wort,
am 13. März 2008 im Kölner Stadtanzeiger und
am 31. März 2008 in der Basler Zeitung

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