Inuit hören langersehnte Entschuldigung für Umsiedlung

Inukjuak/Ottawa, 19. August 2010. Die kanadische Regierung hat sich bei den Inuit dafür entschuldigt, dass in den 50-er Jahren Dutzende Familien in die Hohe Arktis umgesiedelt wurden. Nach Jahrzehnten des Wartens erhielten die Ureinwohner der Arktis die ersehnte Entschuldigung. Die Regierung bedauere die Umsiedlung, das Leiden der Inuit und den Bruch von Versprechen, sagte der zuständige Minister John Duncan. Er sprach von einem „dunklen Kapitel unserer Geschichte“.
Ottawa bedauert Leiden der Ureinwohner und gebrochene Versprechen

„Es war der verlassenste Ort auf der Erde“, erinnert sich John Amagoalik. Er war sechs Jahre alt, als seine Familie 1953 von Nord-Quebec an den Ort auf der Cornwallis-Insel umgesiedelt wurde, der heute Resolute heisst. John Amagoalik war lange Zeit einer der profiliertesten Politiker der Inuit und gilt vielen als „Vater von Nunavut“, des 1999 gebildeten Inuit-Territoriums in Kanadas Ostarktis. In dieser unwirtlichen Wüste aus Eis und Stein mussten sich die Familien in der Nähe eines Außenpostens der Polizei RCMP niederlassen. Die Regierung hatte ihnen versprochen, dass sie wieder nach Quebec gebracht werden sollten, falls es ihnen auf Cornwallis nicht gefalle, aber dieses Versprechen wurde nicht eingehalten. „Sie waren praktisch Gefangene in ihrer eigenen Gemeinde“, erinnert sich Amagoalik, der zu den wenigen gehört, die diese Zeit noch miterlebt haben.

„Familien wurden von ihren Heimatgemeinden durch Tausende Kilometer getrennt“, sagte Duncan in Inukjuak in Nord-Quebec. Sie seien nicht informiert worden, was sie erwarte, und dass sie auf zwei Orte verteilt würden. „Die Regierung Kanadas bedauert zutiefst die Fehler und die gebrochenen Versprechen und entschuldigt sich dafür, dass die Umsiedlung in die Hohe Arktis vorgenommen wurde.“ Als die Namen derer verlesen wurden, die die Umsiedlung nicht überlebten, weinten einige der anwesenden Inuit.

Umsiedlung sollte Land für Kanada reklamieren

Die kanadische Regierung hatte mehrere Umsiedlungen in der Arktis vorgenommen, um staatliche Präsenz zu dokumentieren und das Land für Kanada zu reklamieren. Offiziell begründet wurde die Umsiedlung damit, dass sich die Lebensbedingungen in Nord-Quebec durch den Niedergang der Jagd verschlechtert hätten und in der Hohen Arktis, dort wo jetzt Resolute Bay und Grise Fjord auf Ellesmere Island liegen, ausreichend Wild zur Verfügung stehe. Aber die Inuit aus Inukjuak waren die Kälte der Hohen Arktis und die völlige  Dunkelheit im Winter nicht gewöhnt.

Die Umsiedlung wurde schlecht geplant. Sie mussten den ersten Winter in Zelten verbringen ohne ausreichende Nahrung. Sie hatten von Fischen und Karibus gelebt, hier aber gab es Eisbären und Robben. Um sie zu unterstützen, wurden Familien aus der im Norden von Baffinland liegenden Gemeinde Pond Inlet in die beiden Niederlassungen gebracht, die den Neuankömmlingen das Handwerkszeug vermitteln mussten, damit sie überleben konnten. Etwa 100 Menschen wurden umgesiedelt. Für viele ist es weiterhin eine „erzwungene Umsiedlung“, weil sie kaum Möglichkeiten hatten, ihren Willen durchzusetzen.

Ein Trauma für Überlebende und ihre Nachkommen

Die Umsiedlung ist für die wenigen Überlebenden, aber auch für viele ihrer Nachkommen, bis heute ein Trauma. Sie hatten nach der Entschuldigung der kanadischen Regierung für das Leid, das Ureinwohnerkindern in Internatsschulen (Residential Schools) zugefügt worden war, auch eine Entschuldigung gegenüber ihrem Volk gewartet. Während aber Premierminister Stephen Harper persönlich die Entschuldigung für die Internatsschulen übernahm und diese im Parlament in Ottawa vortrug, schickte er jetzt seinen Indianer- und Arktisminister Duncan.

Selbst wenn bei der Umsiedlung die Absicht eine Rolle gespielt haben mag, den Inuit neues Land zu erschließen, so ist doch unumstrittenen, dass die Sicherung kanadischer Souveränität ein wichtiger Aspekt war. Auch heute steht arktische Souveränität angesichts des Klimawandels und der Öffnung der Arktis für wirtschaftliche Nutzung im Zentrum politischer Debatten. Die konservative Regierung Kanadas betont immer wieder Kanadas Souveränität und setzt dabei stark auf militärische Macht. Die Inuit-Politikerin Mary Simon sagte, die Regierung solle sich nicht nur um Armeen kümmern, sondern um die Gemeinden. Sie verweist auf schlechte Lebensbedingungen in den arktischen Gemeinden, die von hoher Arbeitslosigkeit, Wohnraummangel, einer hohen Selbstmordrate und einer  überdurchschnittlichen Diabetesrate geplagt werden.

Denkmäler erinnern an düsteres Kapitel der Geschichte

Im September sollen in Resolute Bay und Grise Fjord Denkmäler errichtet werden, die an die Umsiedlung erinnern. Lokale Bildhauer arbeiten daran. Einer der Künstler ist Simeonie Amagoalik in Resolute (Foto), der als Kind die Umsiedlung miterlebt hat. „Als wir hierher kamen, gab es keine Satellitenschüsseln, keine Telefone wie heute. Den ersten Winter verbrachten wir in Zelten", sagt der heute 80jährige Mann. „Es war hart." Auch er sehnte den Tag herbei, an dem die Entschuldigung der Regierung das Ende eines düsteren Kapitels Kanadas bedeuten würde.

Gerd Braune

© Gerd Braune
Die auszugsweise Übernahme dieses Textes ist nur mit dem Quellenhinweis „Gerd Braune/www.arctic-report.net“ gestattet. Die vollständige oder weitgehende Verwendung zur Publikation bedarf meiner vorherigen Zustimmung

Dieser Text erschien redaktionell bearbeitet am 21. August 2010 in der Basler Zeitung

  • PDF Datei downloaden