Eisfläche im Arktischen Ozean
in diesem Sommer
größer als im Vorjahr

Ottawa, 19. September 2013. Die Eisfläche im Arktischen Ozean ist in diesem Sommer auf 5,1 Millionen Quadratkilometer abgeschmolzen. Damit ist die Eisfläche am Ende dieses arktischen Sommers deutlich größer als im vergangenen Jahr, als ein historischer Niedrigstand von 3,41 Millionen Quadratkilometern gemessen wurde. Obwohl dieses Jahr keine neue Schreckensmeldung über Eisverlust bringt, sehen Wissenschaftler keine Trendwende.
Am Ende des Sommers noch fünf Millionen Quadratkilometer eisbedeckt

Trotz der erfreulichen Abweichung nach oben – sie bedeutet eine um etwa 50 Prozent größere Eisfläche als 2012 – fügen sich die aktuellen Werte nach Ansicht des Meereisphysikers Marcel Nicolaus vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven in den Abwärtstrend der vergangenen zehn Jahre ein, als jeweils weniger Eis vorhanden war als im Zeitraum 1979 bis 2000. „Die jetzigen Zahlen drücken die natürliche Variabilität aus, die wir von Jahr zu Jahr beobachten“, sagt Nicolaus dieser Zeitung. Er rechnet mit weiteren Jahren geringer sommerlicher Eisausdehnung. „In diesem Jahr war nicht mit einem neuen Negativ-Rekord der Meereisfläche zu rechnen, denn die Statistik zeigt, dass auf ein Rekordjahr stets eine kurzfristige Erholung folgt. Daher können Trends nur durch die Betrachtung langer Zeiträume richtig erfasst werden“, sagt Lars Kaleschke vom KlimaCampus der Universität Hamburg. .Auch Julienne Stroeve vom National Ice and Snow Data Centre (NISDC) an der Universität von Colorado ist überzeugt, dass es sich lediglich um Schwankungen handelt, „die den langfristigen Rückgang der Meereisfläche begleiten“.

Mitte September hat die Meereisfläche stets das geringste Ausmaß. Zwischen 1979 und 2000 waren aber noch durchschnittlich 6,71 Millionen Quadratkilometer des Arktischen Ozeans eisbedeckt. Am 16. September 2012 waren es nach Berechnungen des NISDC aber nur 3,41 Millionen Quadratkilometer, das bisherige Rekordminimum. Jetzt sind es etwa 5,1 Millionen, was vermutlich das diesjährige Minimum ist. Endgültige Zahlen werden in den kommenden Tagen erwartet. Zugleich beginnt jetzt die Bildung neuen Eises. Im März wird die größte Ausdehnung gemessen, rund 15 Millionen Quadratkilometer. Der größte Teil ist jetzt dünnes, einjähriges Eis. Dickes Mehrjahreseis, das die Sommerschmelze übersteht, ist weitgehend verschwunden.

Forscher sehen keine Trendwende

Die jetzigen Zahlen berechtigten nicht, von einer Trendwende zu sprechen, „sonst hätten wir diese Trendwende schon 2008 gehabt, nachdem wir 2007 ein Minimum erreicht hatten“, meint Nicolaus. Die damals im Herbst gemessene Eisfläche hatte nur ein Ausmaß von 4,17 Millionen Quadratkilometern, dann folgte ein Jahr mit größerer Eisfläche. „Wir sehen eine stärkere Variabilität. Sie nimmt zu, weil wir insgesamt auf einem sehr geringen Niveau sind und einen stärkeren Kontrast zwischen der Eisausdehnung im Winter und im Sommer haben. Aber wir haben auch in diesem Jahr immer noch weniger Eis als wir jemals hatten, wenn wir die letzten sieben, acht Jahre außer acht lassen.“

Im Arktischen Ozean sind jetzt größere Flächen im Sommer völlig eisfrei. Das im Winter gebildete Eis ist dünner. Im vergangenen Sommer hatten Stürme dazu beigetragen, dass das Eis zerbrach, schmolz oder zusammengeschoben wurde. Dagegen förderten in diesem Sommer Tiefdruckgebiete die Ausdehnung des Eises. Zudem herrschten laut NISDC „relativ kühle Bedingungen“ über dem Ozean.

Die Satellitenaufnahmen zeigen zunächst einmal nur die Eisfläche. Die Wissenschaftler interessieren sich aber auch für Dicke und Volumen des Eises. „Wir gehen davon aus, dass das Volumen abnimmt, auch wenn wir es noch nicht quantifizieren können. Wir sehen eine ganz starke Abnahme der Eisdicke. In den 1990-ern war die häufigste Eisdicke mehr als zwei Meter, in den vergangenen zwei, drei Jahren haben wir bei ähnlichen Expeditionen festgestellt, dass die modale, also die häufigste Eisdicke nur noch knapp unter einem Meter lag.“

Großes Loch im Eis direkt am Nordpol

Die Eisfläche ist wegen des Albedo, des Rückstrahlvermögens der Oberfläche, wichtig. Helle Flächen reflektieren die Sonnenenergie, während die dunkle Ozeanfläche das Sonnenlicht absorbiert und das Wasser stärker erwärmt. „Beim Rückstreuvermögen kommt es darauf an, ob wir eine weiße Oberfläche haben, selbst wenn sie nur 20 Zentimeter dick ist.“ Für Modellrechnungen werden auch Daten über Eisdicke und Volumen benötigt. „Im gesamtklimatischen Zusammenhang ist besonders das Eisvolumen wichtig. Die Eisdicke hat Einfluss auf die Wechselwirkung zwischen Eis, Atmosphäre und Ozean.“ Dünnes Eis reagiert auf Wind anders als dickes, auf dem Eis sammelt sich Schnee, der Süßwasser darstellt, so dass sich je nach Eisschmelze der Salzgehalt des Ozeans verändert. Dieser beeinflusst die Wasserschichten des Ozeans und die Eisbildung.

Das NISDC machte Anfang September noch eine besondere Beobachtung: Fast direkt am Nordpol bildete sich ein großes Loch im Eis, das auf etwa 150 Quadratkilometer geschätzt wird. Im August war lediglich ein Schmelzwasserteich auf dem Eis entdeckt worden, jetzt sei es ein „richtiges Loch“. Kleine Flächen offenen Wassers seien selbst am Nordpol nicht ungewöhnlich, weil die Bewegung des Packeises zu Rissen in der Eisfläche führen könne, erklärt das NISDC. Die jetzige Öffnung auf dem Satellitenbild sei aber viel größer.

Gerd Braune

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Dieser Text erschien redaktionell bearbeitet in
Tagesspiegel
Stuttgarter Zeitung