Eisenerz aus dem Eisbärenland

Mary River/Nunavut, 1. Mai 2008. Das Eisenerz und die Luft sind eiskalt – etwa minus 30 Grad. Nach wenigen Sekunden schmerzen die ungeschützten Hände, die die Gesteinsbrocken halten. Die Handflächen sind rot von der Farbe, die das Eisenmineral Hämatit abgibt. Gordon McCreary, Präsident der „Baffinland Iron Mines Corporation“, wirft die Erzstücke zurück auf die Erzhalden, die von Tag zu Tag wachsen. „Das ist alles für Europa bestimmt“, sagt er.
Ein Besuch im Mary River-Projekt in der kanadischen Arktis, das Erz für europäische Stahlschmieden liefern soll

McCreary strahlt. Eisiger Wind und Sonne geben seinem Gesicht eine rosige Frische. Hier im Permafrostboden im Norden der Baffin-Insel in Kanadas Arktis will er ein Projekt verwirklichen, von dem er bereits vor 30 Jahren als Ingenieur-Student träumte: Das Mary River-Projekt, eine Eisenerzmine mit schier unermesslichen Reserven. Im Herbst hofft er einen großen Schritt weiter zu sein. Dann sollen 250.000 Tonnen für Tests in den Hochöfen europäischer Stahlerzeuger nach Europa verschifft werden.

Vereiste Flüsse in weißer Landschaft

Die zweimotorige Dornier 228 braucht zweieinhalb Stunden von Iqaluit, Hauptstadt des Arktisterritoriums Nunavut, zum 1000 Kilometer entfernten Mary River-Projekt. Der Flug geht über eine endlose schneebedeckte Steinwüste. Vereiste Flüsse mäandern durch die weiße Landschaft, die die Sonnenstrahlen grell reflektiert. Unvermittelt tauchen das braune Band einer Straße und die langgestreckten Zeltbauten mit orangefarbenen Streifen aus dem Weiß auf: Inmitten der arktischen Wüste steht das Camp, Arbeitsplatz und Wohnort für 200 Menschen. Der nächste Ort, die Inuit-Gemeinde Pond Inlet, ist 160 Kilometer entfernt. Bis zum Nordpol sind es 2000 Kilometer. Das ist weniger als nach Toronto, wo „Baffinland“ seinen Sitz hat.

Die Dornier setzt auf der holprigen Piste auf. „Willkommen im Mary  River Projekt“, verkündet ein Schild auf Englisch und in der Inuit-Sprache Inuktitut. In einer Hütte am Rande des Camps wird das Gepäck der Ankommenden durchsucht. „Kein Tropfen Alkohol darf mitgebracht werden“, sagt der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes.

„Ein Eisenerzdepot von Weltformat“

In Serpentinen führt eine Schotterstraße auf eine Anhöhe wenige Kilometer vom Camp entfernt. Bagger haben Schnee und Eis beiseite geräumt. Der Boden ist rotbraun. Hier liegt „Deposit 1“, eins von vier Eisenerzlagern. Es ist eine Mischung der eisenhaltigen Mineralien Hämatit und Magnetit. Sie liegen direkt an der Erdoberfläche. Gordon McCreary ist überzeugt: „Dies ist ein Eisenerzdepot von Weltformat.“ In den 60-er Jahren waren die Lager entdeckt worden. Aber frühere Versuche, das Erz abzubauen, scheiterten. Es war zu teuer und der Eisenerzpreis zu niedrig.

Vor allem ein Hindernis schien unüberwindbar: der Transport zu den Märkten. Die Gewässer der Polarregion waren damals noch rund ums Jahr zugefroren. Nun sieht es aufgrund des Klimawandels anders aus: Mehrere Monate ist der Seeweg durch Hudson-Straße und Foxe Bassin offen. Selbst im Winter könnte die Route mit eisgängigen Frachtern befahren werden. Die Preise für Eisenerz sind drastisch gestiegen. „Mir war immer klar, dass wir für dieses Projekt einen robusten Markt brauchen. Dieser Markt ist jetzt da“, meint McCreary.

Ungewöhnlich hoher Eisengehalt

Mitarbeiter von „Baffinland“ mit leuchtend gelben Sicherheitshelmen bereiten die nächste Sprengung vor. Sie sind dick eingemummt. Der eisige Wind lässt die gefühlte Kälte deutlich unter die tatsächliche Temperatur sinken. Die Männer füllen die Bohrlöcher mit Sprengstoff.

Für vier Lagerstätten hat „Baffinland“ Abbaurechte. „Da liegen 365 Millionen Tonnen bewiesene und wahrscheinliche Reserven“, erläutert McCreary. Dreißig Kilometer lang und 100 bis 200 Meter breit ist die Erzader mit den Vorkommen an Hämatit und Magnetit. Das Eisenerz liegt hier fast in völliger Reinheit. Der Eisengehalt der Mineralien ist mit 64,7 Prozent ungewöhnlich hoch. „Wir werden das Eisenerz im Brecherwerk zerkleinern und direkt nach Europa bringen.“ 18 Millionen Tonnen sollen jährlich abgebaut werden, davon 16 Millionen für den europäischen Markt. Allein die bisher sicheren Reserven garantieren eine Lebensdauer der Mine von mehr als 20 Jahren. Aber es gibt mindestens weitere 500 Millionen Tonnen, für die noch keine eingehenden Wirtschaftlichkeitsberechnungen vorliegen. „Das ist ein Projekt für viele  Generationen“, hofft McCreary.

Metallurgische Tests in Deutschland

Aber jetzt es zunächst darum, 250.000 Tonnen abzubauen. Lastwagen bringen das Erz über 100 Kilometer quer durch die Insel zu Milne Inlet, einer Bucht an der Nordküste. Am Rande der zugefrorenen Bucht stehen die Förderbänder. Von hier werden Schiffe im September das Material nach Rotterdam bringen. Bei ThyssenKrupp und Salzgitter, der saarländischen Rogesa und Voestalpine in Österreich sollen Probeläufe den letzten Beweis bringen, dass Kanadas Arktis in Zukunft ein wichtiger Erzlieferant für europäische Stahlerzeuger sein kann. Erst dies wird endgülig entscheiden, ob Mary River gebaut wird.

Die metallurgischen Tests der „Studiengesellschaft für Eisenerz-Aufbereitung“ im niedersächsichen Liebenburg hätten den Wert des Eisenerzes bestätigt, nun gehe es um „weitere Risiko-Minimierung“ für die Stahlerzeuger, sagt der Baffinland-Präsident. Absichtserklärungen über künftige Liefermengen liegen bereits vor. „Die anstehenden Tests mit großen Erzmengen sind die letzte Feuerprobe.“ McCreary erwartet die Entscheidungen der Europäer im ersten Quartal 2009.

Bärenbeobachter mit Gewehr

Einige Kilometer südlich des Camps haben Landvermesser ihre Geräte aufgestellt. Sie suchen eine Trasse für den Bau einer 140 Kilometer langen Eisenbahnlinie. Wenn das Projekt verwirklicht wird, soll das Erz mit der Bahn zur Steensby-Bucht an der Südwestküste der Insel gebracht und auf Schiffe verladen werden.

Auf einer Anhöhe steht Joseph Mucktak mit einem Gewehr. Der Inuk aus Pond Inlet hat Landvermesser und Umgebung im Blick. Er ist „Bärenbeobachter“. Dies ist Eisbärenland, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bär so weit ins Landesinnere zieht, gering ist. Grundregel ist trotzdem, dass niemand ohne Begleitung eines bewaffneten Inuk in die Tundra gehen dürfen. Ob er schon einmal schießen musste? Mucktak schüttelt den Kopf. Im Ernstfall würde er versuchen, ihn mit Warnschüssen zu vertreiben. „Unsere Leute sind angehalten, die Bären nicht zu töten“, erläutert Kevin Mealey, einer der Manager des Camps.

Bisher wird der Eisenerzmarkt von den Giganten Rio Tinto, BHP Billiton und Vale bestimmt. In diesen Markt will „Baffinland“ eindringen. Aber das kleine kanadische Unternehmen ist allein nicht in der Lage, 4,1 Milliarden Dollar (2,6 Milliarden Euro) für Infrastruktur, Eisenbahn und Hafenanlage aufzubringen. „Wir suchen einen strategischen Minoritätspartner“, sagt McCreary.

Ihm schwebt vor, dass dieser Partner 40 bis 49 Prozent entweder in Aktien oder als Beteiligung an einem Joint Venture halten könnte. Rund zwanzig Unternehmen hat er auf einer Liste potenzieller Partner. Der japanische Autokonzern Mitsubishi ist bereits mit vier Prozent beteiligt.  Auch europäische Stahlunternehmen kämen grundsätzlich in Betracht, es gebe „ein hohes Maß an Interesse“ sagt McCreary. Stillhalte-Abkommen sollen „Baffinland“ vor feindlichen Übernahmeversuchen schützen. McCreary hofft, Ende des dritten Quartals den Partner gefunden zu haben.

Arbeitsplätze für Inuit

Noch zwei Jahre für das Genehmnigungsverfahren, dann vier Jahre Bau – so sieht der Terminplan aus. 2013 könnte begonnen werden, die Eisenerzhalden aufzubauen, um ein Jahr später die Lieferung nach Europa zu starten. Aber noch ist Überzeugungsarbeit zu leisten, nicht nur bei potenziellen Partnern: Die Inuit haben bei der wirtschaftlichen Nutzung ihres angestammten Landes ein gewichtiges Wort mitzureden. Die Unternehmen müssen mit ihnen Verträge ausarbeiten, die Auswirkungen und Vorteile des Projekts darlegen.

200 Arbeitsplätze für Inuit sollen geschaffen werden, wofür diese aber zunächst ausgebildet werden müssen. Bereits jetzt arbeiten in Mary River 50 Inuit. Nach Darstellung von Baffinland sieht die Mehrheit der Menschen in den am nächsten gelegenen Gemeinden das Projekt positiv, weil es den wirtschaftsschwachen Kommunen Zukunftsperspektiven gibt.

Die Bedenken der Jäger

Aber auch Vorbehalte bestehen. Jäger der auf einer Insel liegenden Gemeinde Igloolik befürchten, dass die riesigen Erzfrachter die Walrosse in der Nähe ihrer Gemeinde stören könnten. Deren Fleisch ist für die Menschen in Igloolik ein wichtiger Bestandteil ihrer Nahrung. Zudem würden die Schiffe immer wieder das Eis aufbrechen, über das die Jäger mit ihren Motorschlitten zur Karibu-Jagd auf der Baffin-Insel fahren. Werden die Züge, die das Erz zur Küste bringen, die Wanderwege der Karibus stören?

Iglooliks Bürgermeister Paul Quassa kennt diese Bedenken. Er sei wie die Mehrheit der Bürger für Mary River: „Unsere Alten sagen uns, dass wir in die Zukunft blicken müssen.“ Arbeitsplätze für die jungen Menschen seien wichtig. Aber er will, dass die Bedenken berücksichtigt und Vorkehrungen getroffen werden, um das Wild zu schonen. Dazu ist „Baffinland“ bereit. „Wir haben auf die Bedenken gehört“, sagt Richard McCloskey, Vorsitzender des Board of Directors von Baffinland. Die Schiffsroute wurde  nach Osten verlagert, 100 Kilometer entfernt von Igloolik und den Plätzen, an denen sich die Walrosse versammeln. Im Herbst nächsten Jahres sollen Verträge mit den Inuit abgeschlossen werden.

Das beste Restaurant weit und breit

Am frühen Morgen, kurz vor Schichtbeginn, herrscht in der hochmodernen Kantine des Camps Hochbetrieb. „Das beste Restaurant im Umkreis von vielen Hundert Kilometern“, scherzt einer an der Essensausgabe. Mehrere Arbeiter verlassen mit ihren Rucksäcken das Camp, um für zwei Wochen zu ihren Familien zurückzukehren. Die Turboprop-Maschine steigt auf und fliegt in einer Schleife über das Eisenerzdepot. Wie Spielzeugautos wirken die Laster, die das Erz abtransportieren. Dann verschwindet das Mary River-Camp im Dunst. Zu sehen ist nur noch die weiße Weite der Arktis.

Hinweis: Die Turbulenzen auf den Finanzmärkten in der zweiten Jahreshälfte 2008 verzögerten das Projekt. Baffinland Iron Mines wurde Anfang 2011 von ArcelorMittal und Nunavut Iron Ore übernommen. Dies führte zu personellen Veränderungen an der Spitze von Baffinland Iron Mines (10. Feb.2012) 

Gerd Braune

© Gerd Braune
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