Bisher geht es den
Eisbären in der
Tschuktschen-See gut
Ottawa, 26. September 2013. Die Eisbären in der südlichen Beaufort-See vor der Küste Alaskas hungern und werden dünner, während ihre Nachbarn in der Tschuktschen-See vor Sibirien Nahrung in Fülle haben und sich in guter körperlicher Verfassung befinden. Eine Studie zeigt gravierende Unterschiede zwischen den beiden Eisbärgruppen im Arktischen Ozean auf und unterstreicht die Zusammenhänge zwischen dem Meereis und dem Wohlergehen dieser Tiere.
Experten befürchten aber langfristig Probleme wie in der Beaufort-See
Während die Eisbären in der südlichen Beaufort-See „ernsthaft durch Klimawandel gefordert werden, spürt die Population in der Tschuktschen-Seen noch nicht die Folgen der Veränderungen im Meereis“, urteilt der kanadische Eisbärforscher Andrew Derocher, einer der Autoren der Studie. Bei einem weiteren Schwund des Eises sei es „nur eine Frage der Zeit, wann wir in der Tschuktschen-See den gleichen Trend wie in der Beaufort-See sehen“. Auch Karyn Rode vom US-amerikanischen Geologischen Dienst USGS, leitende Autorin der Studie, warnt davor, aus dem jetzt noch guten Zustand der Bären zu schließen, dass die Veränderungen in der Umwelt sie nicht treffen werden. Für die Organisation Polar Bears International kommentiert Steven Amstrup, wie seit Jahren prognostiziert gehe es „einigen Populationen besser als anderen, zumindest vorübergehend“. Ohne Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgase würden die Eisbärengruppen, denen es heute noch gut gehe, letztendlich vor den gleichen Problemen stehen wie diejenigen, bei denen bereits ein Rückgang der Zahl der Tiere festzustellen sein.
Eine alarmierende Studie des USGS von 2007 hatte einen möglichen Verlust von zwei Dritteln des Eisbärenbestandes bis Mitte des Jahrhunderts prognostiziert, falls sich der Schwund der Meereises fortsetzt. Dabei waren aber unterschiedliche Entwicklungen für die verschiedenen Eisbärenbestände vorhergesagt worden. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) schätzt den weltweiten Eisbärenbestand auf 20.000 bis 25.000, die in 19 Subpopulationen in Alaska, Kanada, Grönland, Spitzbergen und Russland leben. Die Kenntnis über einige Populationen ist wegen der Abgelegenheit der Regionen immer noch sehr gering. So gab es bisher für die Tschuktschen-See kaum verlässliche Daten. Die jetzige Studie, die in der zeitchrift „Global Change Biology“ veröffentlicht wird, schätzt den Bestand in der Tschuktschen-See auf etwa 2000 Tiere. In der südlichen Beaufort-See könnten es knapp über 1500 sein, mit einer Schwankung von plus/minus 315 Bären.
Weniger Eis und längere Sommer bedeuten weniger Nahrung für Eisbären, die Robben, ihre Hauptnahrung, vom Eis aus jagen. Längere Aufenthalte der Bären an Land, wo sie kaum Nahrung haben, bedeuten Probleme für schwangere Weibchen, eine Höhle zu finden, in der sie ihren Nachwuchs zur Welt bringen können, und Konflikte mit anderen Eisbären, in deren Reviere sie eindringen. Für fünf Eisbärenbestände in Kanada und den USA – darunter die südliche Beaufort-See – haben Forscher Zusammenhänge zwischen dem seit Rückgang des Meereises im Sommer und der Verschlechterung des körperlichen Zustands der Bären, der Zahl der Jungen und dem Überleben junger Eisbären ermittelt. Einige Populationen dagegen zeigen trotz Eisverlust keine derartigen Folgen.
Kein Verlust an Körpergewicht zwischen 1986/94 und 2008/2011
Dies gilt bisher offenbar auch für die Bären der Tschuktschen-See, in der Ölkonzerne wie Shell in naher Zukunft Öl fördern wollen. Dort war der Eisverlust in den vergangenen Jahren zwar drastisch und die Zahl der eisfreien Tage ist deutlich gestiegen, sie liegt immer noch unter denen der benachbarten Beaufort-See. Beim Vergleich von Daten aus den Jahren 1986 bis 1994 und 2008 bis 2011 stellten die Wissenschaftler um Karyn Rode dennoch fest, dass die Tschuktschen-Bären nicht an Körpergewicht verloren haben, sondern jetzt in gleich guter Verfassung sind wie 1986/1994. Sie sind zudem in einem besseren Zustand als die Beaufort-Bären.
Die Forscher führen dies neben der geringeren eisfreien Zeit auf die Unterschiede im Ökosystem in den beiden Randmeeren des Arktischen Ozeans zurück. Anders als in der Beaufort-See reicht in der Tschuktschen-See das Kontinentalschelf, über dem das Wasser weniger als 300 Meter tief ist, weit in den Ozean hinein. Es ist zudem nicht mehr von dickem, mehrjährigem Eis bedeckt, sondern vermehrt von dünnerem Eis. Dort hat das Meer eine höhere biologische Produktivität und eine größere Vielfalt an Nahrung für die Eisbären, neben Ringel- und Bartrobben und Belguawalen, die es auch in der Beaufort-See gibt, auch die seehundähnliche Largha-Robbe, die Band-Robbe und das Walross.
Rückgang der Eisfläche kann positive Bedingungen beseitigen
Allerdings besagen die Modellberechnungen, dass das Kontinentalschelf der Tschuktschen-See Mitte des Jahrhunderts in September und Oktober weitgehend eisfrei sein könnte. Dies würde die gegenwärtigen positiven Bedingungen für die Eisbären beseitigen. Die Folge könnte langfristig die gleiche Entwicklung wie in der Beaufort-See – ein Verlust an Körpergewicht der Bären und eine geringere Reproduktion. Anhaltender Rückgang des Eises könnte die Nahrungssuche und den Zugang zur Wrangell- und der Herald-Insel erschweren, wo die Eisbärenweibchen ihre Jungen zur Welt bringen.
Die Studie zeige, wie unterschiedlich Eisbären in den verschiedenen Regionen auf Erwärmung und Meereisverlust reagieren, meint Amstrup. „Sie zeigt auch die fundamentale Abhängigkeit der Eisbären von Meereis.“ Nach Einschätzung von Polar Bears International ist die Studie keine Entwarnung, aber „wenigstens für jetzt“ eine positive Nachricht für eine der 19 Eisbärpopulationen. Wie lange das anhält, hängt von der Entwicklung des Klimas und des Meereises ab.
Studie „Variation in the response of an Arctic top predator experiencing habitat loss: feeding and reproductive ecology of two polar bear populations“ in „Global Change Biology“, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/gcb.12339/abstract
Gerd Braune
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