Auch nach 20 Jahren wirkt die Ölpest der Exxon Valdez fort
Cordova/Anchorage, 20. März 2009. Kelly Weaverling, der Buchhändler von Cordova, der idyllischen Gemeinde am Prince William Sound in Alaska, zeigt seinem Besucher ein Glas. Es sieht aus wie ein Marmeladenglas. Aber es enthält eine schwarze, stinkende Masse, aus der penetranter Ölgeruch aufsteigt. „Ölreste, die wir heute noch finden. Die Erinnerung an die Exxon Valdez-Ölpest vor 20 Jahren“, sagt er. Auf dem Deckel hat er Datum und Ort des Fundes notiert: Sleepy Bay, Prince William Sound, 18. Juli 2005. Er ist überzeugt: „Auch in diesem Sommer werden wir an den Stränden Öl finden.“Am 24. März 1989 verseuchte der Öltanker den malerischen Prince William Sound in Alaska
Hinter Cordova erheben sich die schneebedeckten Chugach-Berge (Foto oben). Die Bucht an Alaskas Pazifikküste bietet zwei Jahrzehnte nach dem Tankerunglück der Exxon Valdez ein spektakuläres Bild mit einer faszinierenden Tierwelt. Wasser und Luft sind klar, die Strände an der Oberfläche rein. Im Sommer werden Touristen kommen, um Wale, Seeotter und Adler zu beobachten.
Im Hafen Cordovas liegt das „Oil Spill Recovery Institute“, direkt daneben im Wasser tummeln sich Seeotter (Foto unten). Nur der Namen des Instituts (Foto links), das die Erforschung von Ölverschmutzungen in Arktis und Subarktis unterstützt, und eine Schautafel weisen darauf hin, dass sich nicht weit von hier entfernt die Umweltkatastrophe der Exxon Valdez abspielte. Aber Wissenschaftler, die sich mit dem Langzeitfolgen des Unglücks befassen, zeichnen nicht nur wegen der Ölreste, die man unter Steinen und in Sedimenten finden kann, ein anderes Bild, das über das Offensichtliche hinausgeht: „Die Ölpest ist noch immer nicht vorbei“, sagt Stanley Rice von der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration.
Die neue Zeitrechnung begann kurz nach Mitternacht
In den ersten Minuten des 24. März 1989 begann für die Menschen in Cordova und vier weiteren Gemeinden am Prince William Sound ein neues Zeitalter. Am Vorabend hatte der Öltanker Exxon Valdez des Ölmultis Exxon den Hafen von Valdez verlassen. Dort endet die Alyeska-Pipeline, die Öl von der Arktisküste an den Pazifik bringt. Vier Minuten nach Mitternacht rammt die Exxon Valdez mit rund 200 Millionen Liter Öl das Bligh-Riff. Das Schiff hatte die normale Route verlassen, um Eisbergen des Columbia-Gletschers auszuweichen. Elf Tanks werden aufgerissen. 40 Millionen Liter Rohöl fließen in den ökologisch intakten Sund. Am Ende sind etwa 2000 Kilometer Küste vom Öl betroffen.
Die Ölmenge, wurde später nachgerechnet, entspricht dem Inhalt von 125 Olympia-tauglichen Schwimmbecken. Es gab, gemessen an der Ölmenge, größere Katastrophen. Aber die weitgehend unberührte Umgebung und die Folgen für die reichhaltige Tierwelt machen den Unfall der Exxon Valdez bis heute zu einer außergewöhnlichen Umweltkatastrophe. Die „Exxon Valdez Oil Spill“ ist der besterforschte Tankerunfall in der Geschichte der Seefahrt. Das Unglück in subarktischen Gewässern ist eine Mahnung, welch verheerende Folgen eine Ölkatastrophe in der Arktis hätte, wenn diese wegen des Rückgangs der Eisfläche stärker für die Schifffahrt genutzt wird.
„Im Herz der Ölkatastrophe“
Im Kongresszentrum von Anchorage haben sich mehrere Hundert Menschen zum „Alaska Umweltforum“ versammelt. Gastredner ist Craig Tillery, stellvertretender Justizminister Alaska, der die Prozesse des Bundesstaats gegen Exxon führte. Am Unglückstag flog er mit einem Hubschrauber über den Prince Williams Sound und landete „im Herz der Ölkatastrophe“ in einer Bucht. „Was ich sah, hörte und roch werde ich nie vergessen. Der Gegensatz zwischen der idyllischen Schönheit des Sundes, wo ich in früheren Jahren so viele Wochen im Kajak verbracht hatte, und der lärmenden, stinkenden Szenerie vor mir war überwältigend. Ich erinnere mich an zwei Reaktionen zu jener Zeit - Traurigkeit und Wut.“
Symbol des Unglücks – ölverseuchte Seeotter
Die ölverseuchten Seeotter waren ein Symbol der Ölkatastrophe. 2800 Seeotter sterben im Ölschlick, Seehunde, Weisskopfadler, Schwertwale, Tausende Wasservögel und viele Milliarden Eier von Lachs und Hering verenden in der Brühe. Cordova selbst wurde nicht von Öl verseucht, weil der Wind es in eine andere Richtung trieb. Dennoch war kein Ort so stark betroffen wie dieser. Fischfang, der zunächst völlig zusammenbrach, war die Lebensgrundlage vieler Menschen.
Dann kam mit den Aufräumarbeiten das Geld. Exxon zahlte gut für die Anmietung von Booten. Ein Teil der Fischer weigerte sich, von Exxon, das ihr Leben zerstört hatte, Geld anzunehmen. Ein Riss ging durch die Gemeinde. Familien zerbrachen, die Selbstmordrate stieg. Der zwei Jahrzehnte dauernde Prozess um Schadenersatz steigerte den Stress. Erst jetzt findet Cordova wieder zu einer Art Normalität zurück.
Äußerlich nur atemberaubende Schönheit
Zum traurigen Jahrestag hat der „Exxon Valdez Oil Spill Trustee Council“ den Bericht „Erbe einer Ölpest“ vorgelegt. Der Treuhandrat steuert die Verwendung der Millionenbeträge, die als Wiedergutmachung von Exxon und aus staatlichen Budgets für die Wiederherstellung des Sundes und die Forschung bereit stehen.
Die Bilanz ist zwiespältig: Äußerlich bietet der Prince William Sound nichts als atemberaubende Schönheit. Aber wer an Stränden, die damals stark verschmutzt wurden, unter die Steine guckt oder in den Sedimenten gräbt, gewinnt ein etwas anderes Bild. Das „verblüffende Ergebnis“ der Forschungen sei, „dass Exxon Valdez-Öl in der Umwelt weiter fortbesteht und stellenweise nahezu ebenso toxisch ist wie in den ersten Wochen nach dem Unfall“, heißt es im Treuhand-Bericht.
Über Wochen hinweg hatten nach dem Unglück Ebbe und Flut den Ölschlamm an den Küstenstreifen bewegt und in die Sedimente eindringen lassen. Von der ausgelaufenen Menge wurden weniger als zehn Prozent eingesammelt. Im Prince William Sound war entgegen den Zusagen von Behörden und Industrie kaum etwas getan worden, um im Falle einer Katastrophe zu handeln.
Mit Eimern gegen den Ölschlamm
Mit Plastikeimern schöpften Fischer die dreckige Brühe ab. In den vergangenen Jahren wurde gezielt in der Gezeitenzone nach Ölrückständen gesucht. „Der Prince William Sound ist bei weitem sauberer als 1989, aber weitaus kontaminierter als 1988“, berichten Wissenschaftler. Sie schätzen, dass an der Küste noch nahezu 80.000 Liter Öl in Form von Öl- und Teerklumpen vorhanden sind. Sie sind sich sicher, dass der größte Teil von der Exxon Valdez stammt und nur ein geringer Teil Folge eines Erdbebens von 1964 ist, das Öltanks in Valdez beschädigte.
Das Öl verschwinde mit einer Rate von 0 bis 4 Prozent pro Jahr, stellt der Trustee Council fest. Somit könne es „Jahrzehnte und möglicherweise Jahrhunderte dauern, bis das Öl der Exxon Valdez vollständig verschwunden ist“. Besorgt stellten die Wissenschaftler auch fest, dass die im Öl enthaltenen hochgiftigen Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAH) nicht so schnell abgebaut werden wie erwartet. Analysen ergaben, dass die meisten PAH „intakt und somit giftig und im gleichen Verhältnis vorhanden waren wie im Exxon Valdez-Öl, das in den ersten Wochen nach der Ölpest gesammelt wurde“. Die PAH würden die größten Probleme wie genetische Mutationen hervorrufen, erklärten Wissenschaftler in Anchorage.
„In der Todeszone flogen nicht einmal Moskitos“
Tom Anderson, ein heute 65 Jahre alter Fischer, erinnert sich genau an den 24. März 1989. „Wir fuhren hinaus, sammelten verölte Seeotter mit Netzen ein und brachten sie an den Strand.“ Dort wartete bereits ein Hubschrauber, der die Tiere zum Entölen nach Valdez flog. Sie bargen Weisskopfadler, die tote Fische und Flussotter als Beute ansahen und sich beim Fressen mit Öl verschmierten. „Wir nannten den Strand Todeszone, mit Tausenden toter Vögel. Nichts flog, nicht einmal Moskitos“, sagt Anderson.
Ein Schlag war für viele Menschen in Cordova im Sommer 2008 die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu Schadenersatzzahlungen an die Betroffenen. 1994 hatte ein Gericht Exxon zur Zahlung von fünf Milliarden Dollar verurteilt. In der Berufung 2007 wurde dies halbiert und im Juli 2008 auf 507 Millionen Dollar festgesetzt, ein Zehntel der ursprünglichen Summe. „Und das nach einem Jahr, in dem Exxons Gewinn 40 Milliarden Dollar erreichte und Exxon darauf stolz war“, schimpfen die Menschen in Cordova.
Der Kollaps der Herigsfischerei kam mit Verzögerung
Die Seeotter-Bestände haben sich weitgehend erholt, in stark verseuchten Gegenden verlief die Erholung langsamer, weil sich die Seeotter in Küstennähe von Muscheln ernähren und bei der Suche nach Nahrung mit Öl in Kontakt kommen. Die Bestände von Robben, Weißkopfadlern, Seetauchern, Kormoranen und Lachs gelten als „wieder hergestellt“, bei anderen Arten wie Muscheln, Kragenente und Austernfischer ist das Ziel noch nicht ganz erreicht. Von zwei Schwertwal-Gruppen befindet sich eine Gruppe auf dem Weg der Erholung, für eine zweite Gruppe gibt es dagegen so gut wie keine Hoffnung: Ihr droht die Ausrottung.
Der Heringbestand hat sich nicht erholt. Das Öl vernichtete einen ganzen Jahrgang. Dass im Jahr nach der Katastrophe die Heringe wieder auftauchten, war für die Fischer noch kein Anlass zum Jubel. „Wir wussten, dass es ein Mythos war, als Exxon von einer Erholung sprach“, sagt Riki Ott (Foto), die in ihrem Buch „Not One Drop“ über ihre Erfahrungen berichtet. Die Menschen ahnten, dass sich der Ausfall eines Jahrgangs noch bemerkbar machen wird. Der Crash kam 1993. Seitdem hat sich der Bestand nicht mehr erholt. Angesichts starker Schwankungen der Populationen und zahlreichen Faktoren, die dies beeinflussen, lässt sich aber ein direkter Zusammenhang mit der Ölpest nicht zweifelsfrei bestimmen.
Was passiert bei Ölunglück im arktischen Eis?
Das Exxon Valdez-Desaster wirft Fragen auf, die im Zeitalter des Klimawandels noch drängender werden. Es gibt keine Möglichkeit, die Ausbreitung von Öl unter einer Eisdecke zu verfolgen. Technologien, eine Ölpest in der Arktis wirksam zu bekämpfen, sind noch nicht entwickelt. Öl hält sich in kalten Gewässern länger als bislang gedacht. Das Vertrauen in die Heilungskräfte der Natur hat einen Dämpfer erlitten. „Wir können uns beim Abbau von Ölrückständen nicht überall auf Mutter Natur verlassen“, meint Mead Treadwell, Vorsitzender der US-Arctic Research Commission.
Der 20. Jahrestag der Katastrophe weckt nun wieder die Erinnerungen. Die Exxon Valdez-Ölpest ist tief in der Seele der Menschen verankert. „Die populäre Phrase vom ,Abschluss´ greift nicht“, sagt Kelley Weaverling. „Ein Ereignis wie dieses ist Teil von Dir. Es gibt keine Taste es auszulöschen.“
Gerd Braune
© Gerd Braune
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Dieser Text erschien redaktionell bearbeitet in
Berliner Zeitung (21. März 2009)
Rheinpfalz (23. März 2009)
Stuttgarter Zeitung
Handelsblatt
Frankfurter Rundschau
Westfälische Rundschau
Kölner Stadtanzeiger
Basler Zeitung
Luxemburger Wort
Weser-Kurier (24. März 2009)