14 Apr 2012

Die „International Ice Patrol“,
eine Konsequenz aus dem Titanic-Desaster

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Den Titanic-Jahrestag kann arctic-report natürlich nicht übergehen. Die Medien sind ja seit Tagen und Wochen voll mit Geschichten zu diesem denkwürdigen Ereignis. Kanada ist mit dem Titanic-Unglück auf besondere Weise verbunden: Auf Cape Race in Neufundland wurde das Notsignal der Titanic aufgefangen. Von Halifax aus fuhren Schiffe hinaus, um die Todesopfer zu bergen. Nirgendwo sind so viele Titanic-Opfer beerdigt wir in Halifax. Nach dem Titanic-Unglück schuf die internationale Staatengemeinschaft die „International Ice Patrol/IIP“, die die Schifffahrt vor Eisbergen im Nordatlantik warnen sollte. Zunächst war dafür ausschließlich die US-Küstenwache verantwortlich, nur ist dies ein Gemeinschaftsprojekt von IIP und des Canadian Ice Service, die sich im North American Ice Service (NAIS) zusammengetan haben. Sitz des Canadian Ice Service ist Ottawa. Anlässlich des 100. Jahrestags des Titanic-Desasters habe ich die Zentrale dieses Dienstes besucht. Dies ist mein Bericht:

Den Eisbergen auf der Spur

Luc Desjardins sitzt vor den Computern in der Zentrale des „Canadian Ice Service“ in der kanadischen Hauptstadt Ottawa. Die Bildschirme zeigen Karten der Ostküste und Tabellen. Vor der Ostküste Neufundlands häufen sich Dreiecke verschiedener Farbe und Größe, die Standort und Größe von Eisbergen anzeigen. Die Karten geben an, dass kurz vor dem Jahrestag der Titanic-Katastrophe die stärkste Konzentration von Eisbergen östlich von Neufundland zwischen dem 46. und 50. Breitengrad zu finden ist.

Mit einem Klick schaltet Desjardins die Meeresströmungen hinzu, die die Eisberge weiter nach Süden führen könnten. Aber bis zum 41. Grad nördlicher Breite und 50. Grad westlicher Länge, wo sich am 14. April 1912 die Kollision der Titanic mit einem Eisberg ereignete, werden sie in den nächsten Tagen nicht kommen. Die Karte, die die Internationale Eis-Patrouille in der Nacht zum Freitag veröffentlichte, zeigt die südliche Grenze des Eisbergfeldes noch oberhalb von 45 Grad nördlicher Breite, etwa vier Grad nördlich des Unglücksortes. Der Abstand zwischen den Breitengraden ist 111 Kilometer, so dass die nächsten Eisberge mehr 400 Kilometer entfernt sein werden. Damit sei sicher, dass die „MS Balmoral“, die sich auf der „Titanic Memorial Cruise“ befindet und am Abend des 14. April am Ort des Titanic-Desasters ankommen soll, dort keinen Eisbergen begegnen werde, meint Desjardins. Bei der Festlegung der Grenzen des Eisbergfeldes werde zusätzlich eine „Sicherheitsdistanz“ zu der im Modell errechneten Position von Eisbergen eingehalten. Die IIP-Karte zeigt, dass Eisberge vermutlich erst am 46. Breitengrad nahe der kanadischen Insel Neufundland anzutreffen sind.

Seit Beginn der Schifffahrt im Nordatlantik haben Eisberge Schiffe bedroht. Vor allem im Bereich der Grand Banks, der Neufundlandbank, ereigneten sich Unglücke. 1833 sank die Lady of the Lake und riss 70 Menschen in den Tod. „Zwischen 1882 und 1890 wurden 14 Schiffe verloren und 40 durch Eis ernsthaft beschädigt, nicht eingeschlossen eine große Zahl von Walfang- und Fischerbooten“, berichtet die IIP. Aber erst nach der Titanic wurde gehandelt. 1913 fand die erste Konferenz über „Sicherheit von Leben auf See“ statt, ein Jahr später wurde die gleichnamige „Convention for the Safety of Life at Sea/SOLAS“ beschlossen. Zudem wurde die „International Ice Patrol/IIP“ geschaffen. Die US-Regierung wurde gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen. Sie beauftragte damit die US-Küstenwache. Die Kosten der IIP teilen sich die 17 Vertragsstaaten, darunter mehrere europäische Staaten.

Tägliche Eisberg-Charts

Heute ist die US-Küstenwache nicht mehr allein für Eisbergbeobachtung zuständig. Die Kanadier schufen in den 40-er Jahren eine Institution, die die Eisbewegungen verfolgt. Die Zusammenarbeit zwischen dem Canadian Ice Service (CIS), einer heute zum Umweltministerium gehörenden Behörde, und der IIP wurde immer enger und führte 2008 zur Bildung des North American Ice Service (NAIS). Dieser gibt täglich ein Eisberg-Bulletin und Eisberg-Charts heraus. Während die IIP ihre Arbeit auf die starken Eisbergmonate Februar bis Juli beschränkt, arbeitet der kanadische Eisdienst rund ums Jahr. Beide Dienste bedienen eine gemeinsame Datenbank, teilen ihre Informationen und können jederzeit die Aufgabe des anderen übernehmen, so dass die Schifffahrt ständig über Gefahren informiert wird.

„Grönland ist eine Eisbergfabrik“, sagt Desjardins. „Durch jeden Fjord erreichen Gletscher das Meer und können Eisberge schaffen“, erläutert er und zeigt auf einer Landkarte auf Grönlands zerklüftete Küste. Nach Angaben der IIP entstehen jährlich 10.000 bis 15.000 Eisberge. Die Eisberge, die von den Gletschern abbrechen, „Kalben“ wird dieser Vorgang genannt, wandern mit der Westgrönland-Strömung in der Davis Strait und Baffin Bay zunächst nach Norden. Der Zufluss von Wasser vom Arktischen Ozean ändert dann ihre Richtung und sie treiben entlang der Küste der Baffin-Insel, Labradors und Neufundlands nach Süden.

Die Eisberg-Allee

„Eisberg-Allee“ wird der Weg genannt. Manchmal wird damit der Weg der Eisberge von den Gewässern zwischen Grönland und Kanada bis in den Atlantik bezeichnet. Fachleute wie Desjardins grenzen „Eisberg-Allee“ stärker ein. Für sie ist das vor allem die Ostküste Neufundlands und das Gebiet um Neufundlandbank („Grand Banks“) und  Flemish Cap, zwei Meeresgebiete mit relativ niedriger Wassertiefe und einer stärkeren Strömung dazwischen. Die eiskalte Labrador-Strömung bringt die Eisberge in das Gebiet der Grand Banks und dann in die wichtigen Schifffahrtsrouten, die Great Circle Routes, zwischen Europa und den USA und Kanada.

In diesem Gebiet stößt der Labrador-Strom auf den wärmeren Golf-Strom. Die Temperaturunterschiede bis zu 20 Grad erzeugen Nebel, hinzu kommen Eisberge, die Häufung von Fracht- und Fischereischiffen und Ölplattformen.  Diese Kombination „macht die Gewässer der Grand Banks zu einem der gefährlichsten Seegebiete der Welt“, stellt die International Ice Patrol fest.

Der entscheidende 48. Breitengrad 

„Wir können Modellberechnungen für ein Gebiet von etwa drei Millionen Quadratkilometern vornehmen“, erläutert Desjardins. Es erstreckt sich vom 60. Breitengrad – der Südspitze Grönlands – bis zum 37. Breitengrad, also unterhalb des Titanic-Ortes. Aktiv durch IIP kontrolliert wird ein kleineres Seegebiet, das 1,7 Millionen Quadratkilometer (500.000 Quadratseemeilen) umfasst und mit Flugzeugen überflogen wird. Der kritische Bereich liegt bei 48 Grad, was der Höhe von Neufundlands Hauptstadt St. John´s entspricht. Ab hier können die Eisberge die wichtigen Schifffahrtsrouten gefährden. „Wir haben Hunderte, wenn nicht Tausende Eisberge in Baffin Bay und Davis Strait. Entscheidend ist, wieviele kommen in den Bereich südlich des 48. Breitengrades.“ Dieses Jahr erwartet Desjardins ein „normales Eisbergjahr“ mit 400 bis 800 Eisbergen südlich des 48. Breitengrads.

Die Experten der International Ice Patrol in New London in Connecticut und vom Canadian Ice Service in Ottawa stützen sich auf Satelliten- und Radaraufnahmen, vor allem aber auf die Ergebnisse der Überflüge, bei denen Eisberge lokalisiert werden. Hinzu kommen Informationen, die von Schiffen eingehen. Sie sind nach SOLAS verpflichtet, Eisberge zu melden. Etwa ein Viertel aller Eisbergmeldungen kommt von Handelsschiffen. Die Informationen werden dann in ein Datenverarbeitungssystem eingeben und damit ein Modell für die Ozean südlich von Labrador erstellt. (Foto rechts: Chart von Anfang April, Bleistift zeigt Titanic-Unglücksstelle an)

„Wir haben Informationen über Meeresströmungen und Bathymetrie, die Gestalt des Meeresbodens, über Wassertemperaturen und Packeis“, erläutert Desjardins. Es gibt Modellberechnungen über das Schmelzen der Eisberge und die Drift. Das Computersystem kennt die Wassertemperaturen und wie diese das Schmelzen eines Eisbergs beeinflussen. Hieraus wird ein Bild vom Eisbergaufkommen mit den Grenzen des Eisbergfeldes erstellt, das sogenannte „Limit of All Known Ice“ (LAKI), und an die Schiffe gesendet. Sie können dann die Eisberg führenden Gewässer umfahren. „Wir sagen den Schiffen, wo sie sicher fahren können und wo sie mit Eisbergen rechnen müssen. Die Entscheidung über die Routen liegt aber dann beim Kapitän.“

Der Erfolg der International Ice Patrol

Trotz aller Unwägbarkeiten der Natur „sind unsere Charts sehr genau“, unterstreicht Luc Desjardins. Wie wertvoll dies für die Schifffahrt ist, zeigt die Bilanz der IIP: Seit Einrichtung der Eispatrouille 1913 „ist kein einziges Schiff, das die Grenzen der Eisbergfelder beachtet hat, mit einem Eisberg kollidiert“, berichtet IIP. Nicht immer können Schiffe die Eisbergfelder umfahren. Aber die Informationen der IIP und des Canadian Ice Service haben dazu beigetragen, dass es trotz mehrerer Kollisionen zwischen Eisbergen und Schiffen, die das ausgewiesene Eisfeld durchfuhren, keinen größeren Unfall gab, bei dem Menschen umd Leben kamen oder ein Schiff verloren ging. Aber warnend stellt die Internationale Eispatrouille fest: „Das Potenzial für eine Katastrophe besteht weiterhin.“ Nicht nur hier, sondern auch weiter im Norden: Die Öffnung des Eismeers durch den Rückgang des Eises wird Schiffsverkehr und wirtschaftliche Nutzung der Arktis verstärken. Die Risiken durch Eis und Eisberge aber bleiben.

Links: Eine Karte vom IIP, die das Gebiet und die Schifffahrtsrouten zeigt:
http://www.navcen.uscg.gov/?pageName=IIPMission
Die aktuellste Eisberg-Analyse: Scrollen Sie auf der Seite des CIS
http://ice-glaces.ec.gc.ca/app/WsvPrdCanQry.cfm?CanID=11091&Lang=eng
zu „Daily Iceberg Analysis Chart“. Dort finden Sie die Karte für Newfoundland and Labrador, in pdf oder gif.
Der Titanic-Ort liegt etwa am Kreuz vom 41. Breiten- und 50. Längengrad

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