26 Apr 2012

Der Permafrost taut tiefer auf

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Die Rentierherden der Nenzen in Sibirien müssen sich neue Wanderwege und Weidegründe suchen, weil der Boden auftaut und zu nass wird. Pipelines brechen, weil sie nicht mehr auf solidem Grund stehen. Der Permafrostboden in der Arktis taut. „Das hat gewaltige Auswirkungen in vielen Bereichen“, sagt Professor Hans-Wolfgang Hubberten, Präsident der International Permafrost Association. Neben den sichtbaren Folgen droht  eine kaum sichtbare: Die Freisetzung klimaschädigender Treibhausgase.

Noch vor wenigen Jahren war das Interesse an den Entwicklungen im Permafrost eher gering. Dies hat sich geändert. Im internationalen Polarjahr 2007/2008 war Permafrost ein Forschungsschwerpunkt. Auf der Konferenz „International Polar Year 2012“, die derzeit in Montreal stattfindet, sind die Veranstaltungen zum Permafrost ausgebucht. „Es ist uns gelungen, dem Permafrost die Bedeutung zuzuweisen, die er hat“, meint Hubberten, der am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) forscht. „Wir hatten noch nie auf einer internationalen Konferenz ein so starkes Interesse an Permafrost“, sagt sein Kollege Hugues Lantuit, ebenfalls Forscher am AWI.

Permafrost bis 1600 Meter tief

Von Permafrost spricht man, wenn die Temperatur des Bodens mindestens zwei Jahre in Folge bei 0 Grad oder darunter liegt. Die oberste Schicht, die im Winter gefroren ist und im Sommer auftaut, wird „active layer“ oder Auftauschicht genannt. Unter dieser Schicht, die einige Zentimeter bis wenige Metern dick sein kann, beginnt der permanent gefrorene Boden. Wie tief er geht und wie kalt er wird, hängt von den geologischen und klimatischen Bedingungen ab. „In Alaska messen wir 0 bis minus zehn Grad, im kanadischen Arktisarchipel haben wir minus 16 gemessen und in der Antarktis bis zu minus 26 Grad“, erläutert Vladimir Romanovsky, Professor für Geophysik an der Universität von Alaska in Fairbanks. Die Dicke des Permafrosts kann mehr als 1500 Meter betragen. Bei Bohrungen in Sibirien wurde mit 1600 Meter die größte Tiefe von Permafrost erreicht, im arktischen Tiefland Sibiriens ist er 300 bis 400 Meter tief.

Die Fachleute unterschieden zwischen Zonen kontinuierlichen Permafrosts, in denen 90 bis 100 Prozent des Untergrunds gefroren sind, diskontinuierlichen (50 bis 90 Prozent) und sporadischen Permafrosts (unter 50 Prozent). Zudem gibt es den isolierten Permafrost,  sogar in Deutschland: ein etwa ein Quadratkilometer großes Permafrostgebiet auf der Zugspitze. Geschätzt wird, dass etwa 25 Prozent der Landmasse der nördlichen Hemisphäre, 23 Millionen Quadratkilometer, Permafrost aufweisen.

„Spektakuläre Veränderungen der Erdoberfläche“

Der Klimawandel verändert die Permafrostregionen. „Wir sehen spektakuläre Veränderungen der Erdoberfläche. Die Auftauschicht geht immer tiefer“, sagt Lantuit. In Tiefebenen und Bergregionen wurde dieser Prozess festgestellt. Er zeigt sich in Änderungen der Vegetation in Tundra und Wäldern, dem Verlust von Seen, deren Wasser versickert, und dem Abrutschen von Hängen. Die Permafrostgrenze und die Grenze zwischen kontinuierlichem und diskontinuierlichem Permafrost wandert nach Norden.

Vladimir Romanovsky berichtete von diesen dramatischen Veränderungen in Alaska und Russland. „Etwa um 2005 wurde für zwölf Gemeinden Alaskas  eine Umsiedlung erwogen, weil der Boden auftaut. Heute dürften es deutlich mehr sein.“ Betroffen sind Gemeinden an Flüssen im Landesinneren, vor allem aber Siedlungen an der Küste. Die Küstenerosion verstärkt sich durch zwei Faktoren: Der Rückgang des Meereises führt dazu, dass das Meer bewegter ist und die Wellen heftiger gegen die Küste schlagen, die zugleich durch das Tauen des Permafrosts an Stabilität verlieren. Eines der drastischen Beispiele ist die Gemeinde Shishmaref nördlich der Bering-Straße: Dort stürzte ein Haus ins Meer, nachdem der Boden darunter weggespült worden war. Nach Tuktoyaktuk in Nord-Kanada müssen Betonklötze gebracht werden, um die Küste zu befestigen.

Sorgen um Trinkwasser

„Wir hören aus vielen Gemeinden Sorgen über die Trinkwasserversorgung“, sagt Romanovsky: Flüsse, die der Trinkwasserversorgung von Gemeinden dienen, sind so stark mit Sedimenten belastet, dass Filteranlagen verstopfen und kein trinkbares Wasser mehr liefern können. Bisher konnten die Menschen im hohen Norden ihre im Permafrostboden liegenden Keller das ganze Jahr als Kühlschrank.  „jetzt hören wir von verdorbenem Fleisch. Damit ist die Ernährung der Bevölkerung, die sich auf traditionelle Weise durch Jagd ernährt, bedroht.“ In der Jamal-Region Sibiriens müssen die Nenzen mit ihren Rentierherden umziehen, weil die Tiere auf dem auftauenden feuchten Boden nicht leben können.

Probleme entstehen auch für die Öl- und Gasindustrie, etwa für die Pipelines, die Gas aus Russland nach Zentraleuropa bringen. Es gebe Hinweise, dass ein großer Teil der Störungen mit den Veränderungen im Permafrost zu tun haben, sagt Romanovsky. Auchn hier wirken mehrere Faktoren: Klimawandel fördert das Auftauen, aber auch die Bauwerke selbst beeinflussen den Boden: Sie erzeugen Wärme, und wenn beim Bau von Industrieanlagen die oberste Bodenschicht entfernt wird, beeinflusst dies die Stabilität des Permafrostbodens. Eine Studie von Lloyd´s of London und Chatham House hat jüngst deutlich gemacht, dass Klimawandel eben nicht nur die Arktis für wirtschaftliche Nutzung öffnet, sondern der tauende Permafrostboden und die kürzeren Frostperioden auch den Zugang zu Gemeinden und Industriestandorten erschweren und die Kosten erhöhen.

Der drohende Ausstoß an Treibhausgasen

Über all dem liegt der drohende zusätzliche Ausstoß an Treibhausgasen. Im Permafrostboden lagert Kohlenstoff, gebunden in Bodenpartikeln wie Sand und Erde oder in Pflanzen. „Etwa 50 Prozent des im Boden gespeicherten organischen Kohlenstoffs befindet sich in Permafrostboden“, sagt Hubberten. „Er war dort bisher isoliert, wie in einer Tiefkühltruhe. Jetzt, da das Tauen beginnt, wird Kohlenstoff frei und zu Kohlendioxid oder Methan umgesetzt.“ Hubberten bezeichnet diese Entwicklung als „zusätzlichen Tritt für das Klimasystem“, denn die Freisetzung der Treibhausgase würde das erreichen der Klimaschutzziele erschweren. Die Menge des im Permafrostboden liegenden Kohlenstoffs ist doppelt so groß wie die Kohlenstoffmenge, die sich gegenwärtig in Form der Treibhausgase CO2 und Methan in der Atmosphäre befindet, berichtet die International Permafrost Association (IPA). „Durch die Erwärmung wurde bereits ein Prozess in Gang gesetzt, der zusätzlich Wärme bringt“, sagt Hubberten.

Noch kann man Hubberten zufolge nicht genau abschätzen, was dies für die Klimaentwicklung bedeutet. „Permafrost taut tiefer auf und wird an den Rändern verschwinden, aber im hohen Norden wird er bleiben.“ Die Bedeutung der Permafrost-Forschung steigt. Die EU startete im November das Projekt Page 21 („Permafrost in the Arctic and its Global Effects“). Neun Millionen Euro, wovon knapp sieben Millionen von der EU kommen, werden für das internationale Forschungsprojekt ausgegeben, das Antwort auf die Frage bringen soll, was geschehen könnte, wenn riesige Mengen Kohlenstoff aus den arktischen Böden in die Atmosphäre entlassen werden.

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One Response to Der Permafrost taut tiefer auf
  1. Sie haben für die Stuttgarter Zeitung drei sehr interessante Artikel in den letzten Tagen geschrieben – die ja auch ihr Weblog bereichern. Alle spannend, alle alarmierend, alle gut informierend. Vielen Dank.
    Auf Facebook hat sich der Filmemacher des Films „People of the Feather“ (der Trailer ist schon beeindruckend!) beschwert, dass trotz ausführlicher Presseinformation kein einziger Beitrag über den mit vielen Preisen ausgezeichneten Film während der Konferenz erschienen sei und daher das Publikumsinteresse nicht sehr groß. Vielleicht ist das auch ein Thema. Jedenfalls hoffe ich sehr, dass wir den Film auch hier in Europa zu sehen bekommen. Schließlich schlafen allein in Deutschland Zig-Tausende in Eiderdaunen.
    Ich bleibe weiterhin interessiert an Ihren Berichten! Viele Grüße aus dem süddeutschen Frühling – cvw


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