02 Feb 2012

Arktis und kanadische Identität

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Wie oft habe ich es in all den Jahren, die ich in Kanada lebe gehört: Wir, das heißt die Kanadier, sind ein Volk des Nordens, ein arktisches Volk, und die Arktis ist Teil unserer Identität. Schließlich besingen wir ja in unserer Nationalhymne „The true North, strong and free“. Dazu passt auch, dass uns andere als Volk aus dem Eis sehen. Dass viele Amis meinen, unser Land sei zwölf Monate im Jahr mit Eis bedeckt, dass wir in Iglus wohnen und uns mit Hundeschlitten fortbewegen. Schließlich kann es im Winter hier in Ottawa leicht minus 30 Grad kalt sein, mit dem windchill kann das schnell eine gefühlte Temperatur von minus 40 ergeben. Dass wir im Sommer dann plus 40 haben, übergehen wir an dieser Stelle, auch dass Toronto nicht am Nordpol, sondern etwa auf der Höhe der Toskana liegt.

Wir sind ein arktisches Volk. Es ist zentral für unsere Identität. Das glauben wir, das reden uns andere ein. Und das meint vor allem Premierminister Harper. Für ihn ist die Arktis und das Reden über Kanadas angeblich bedrohte „Souveränität“ in der Arktis ein wichtiger politischer Spielball. Das macht er mit Erfolg. Unter den Kanadiern, die weit im Süden knapp oberhalb der Grenze zu den USA leben, besteht die Vorstellung: Unsere Souveränität, unsere Hoheit über die kanadische Arktis ist bedroht.

Der Norden sei zentral für kanadische Identität – „aber mehr in der Vorstellung als in der Realität“, meinte heute Whitney Lackenbauer, Professor für Geschichte an der Universität Waterloo, auf der Konferenz „Northern Lights“ in Ottawa. Ein Mix von Bildern präge die Vorstellung der im Süden lebenden Kanadier – die Arktis ist kalt, leer und angsteinflößend, ein ressourcenreiches Gebiet, der Lebensraum der „Northerner“, ein Naturwunder, und eben ein Ort, an dem unsere Souveränität stets bedroht wird.

Aber, so sagt Professor Lackenbauer, wir haben als Nation bei der Entwicklung des Potenzials unseres Nordens bisher wenig vorzuweisen. Kanadier litten unter „Mappismus“ meinte er und griff eine Wortschöpfung des Historikers Bill Morrison auf: Wir ziehen gerne Linien auf einer Landkarte, die uns zeigen, wie uns der Norden zu einem sehr großen Land macht, aber wir scheinen weniger interessiert daran, was innerhalb dieser Grenzen in der Arktis passiert.

Recht hat Herr Lackenbauer. Das Interesse am Norden ist oft rhetorisch. Das Wissen gering. Und die Arktis ein Gebiet, das die überwältigende Mehrheit der Kanadier nie besucht hat.

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