Die Suche nach den Schiffen von Sir John Franklin

Gjoa Haven, 29. Juni 2010. Der Name des britischen Forschers Sir John Franklin ist mit einer der größten Tragödien im arktischen Eis verbunden: 1845 brach Franklin mit den beiden Schiffen Erebus und Terror und 128 Mann Besatzung auf, um die legendäre Nordwestpassage durch die arktische Inselwelt des heutigen Kanada zu finden. Die Expedition führte alle in den Tod. Die Schiffe wurden bisher nicht entdeckt. Wie die kanadische Regierung jetzt mitteilte, unternehmen Forscher der Nationalparkbehörde Parks Canada im August einen neuen Versuch, die Schiffe im Eismeer nahe der King William-Insel zu finden.
Überlieferte Geschichte der Inuit soll Parks Canada helfen

Louis Kamookak lebt in Gjoa Haven im Süden der Insel im Arktisterritorium Nunavut. Seit Kindheit ist der heute 50jährige von Franklin fasziniert. „Als ich ein Kind war erzählte meine Großmutter eine Geschichte, die sie von ihrem Großvater gehört hatte. Er hatte Gegenstände gefunden, die er nicht kannte. Löffel, Gabeln und Messer, Steine mit fremden Schriftzeichen.“ Ein Messer nahm der Ur-Ur-Großvater an sich. Später stellte sich heraus, dass es zur Ausrüstung der Franklin-Expedition gehört hatte. „Als ich ein Kind war, lebten wir Inuit in Iglus oder Zelten. Wir hatten kein Fernsehen, kein Telefon. Das Erzählen von Legenden und Geschichten war ein wichtiger Teil unseres Lebens. Daher ist unsere mündlich überlieferte Geschichte so stark“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung.

Die Überlieferungen gewinnen nun bei der Suche nach den Franklin-Schiffen neue Bedeutung. Die Forscher stützen sich auf  Erzählungen, die Kamookak seit 25 Jahren gesammelt hat und darauf hindeuten, dass ein Schiff an der Westküste der King William-Insel unterging, nachdem die Besatzung es aufgegeben hatte. Es gibt Erzählungen, dass Inuit das im Eis steckende Schiff aufsuchten. „Zum ersten Mal wird bei der Suche auf das gehört, was Inuit erzählen“, freut sich Kamookak.

Ein Seeweg von Europa nach Asien

Die Schiffe setzten am 19. Mai 1845 in England Segel. Die von Sir John Franklin geleitete Expedition sollte den Seeweg von Europa nach Asien durch die Inselwelt im Norden Amerikas finden. Er segelte durch die Baffin-Bucht und in den Lancaster Sound. An der Beechey-Insel nahe der Devon-Insel überwinterten die Crews, dann setzten sie im Frühjahr 1846 ihren Weg fort. Im McClintock-Kanal wurden sie im Herbst von Treibeis eingeschlossen. Der Winter war hart und der  Sommer genügte nicht, das Eis wieder aufzubrechen. Die Schiffe saßen nahe der King William-Insel fest. Nach Aufzeichnungen, die auf der Insel gefunden wurden, starb Franklin am 11. Juni 1847 an Bord der Erebus. Am 22. April 1848 – bereits 24 Mitglieder der Expedition waren gestorben – machten sich 105 verzweifelte Seeleute auf den Weg nach Süden. Sie wollten zu Fuß das Festland und einen Handelsposten in den Nordwest-Territorien erreichen. Sie begegneten Inuit, die ihnen Nahrung gaben, dann verliert sich ihre Spur. Keiner erreichte das Ziel.

Verschwundene Wracks ein „National Historic Site“

Mehrere Expeditionen suchten vergeblich nach den Männern. In der arktischen Steinwüste auf Beechey Island wurden die Gräber von drei Crew-Mitgliedern gefunden. Analysen sollten 150 Jahre später ergeben, dass Bleivergiftung neben Lungenentzündung, Skorbut, Unterkühlung und Erschöpfung zum Tod führten. Dutzende Grabstätten wurden in der Arktis gefunden. Die Schiffwracks wurden bisher nicht geortet. 1992 erklärte Kanada die noch nicht gefundenen Wracks zu „nationalen historischen Orten“. 1997 unterzeichneten Großbritannien und Kanada ein Memorandum, wonach die Suche nach den Schiffen und ihre Bergung in kanadischen Händen liegt, obwohl Großbritannien Eigentümer der Schiffe ist.

Unterwassersuche in einem 400 Quadratkilometer großen Seegebiet

Noch ist die Nordwest-Passage durch Eis blockiert. Aber im August wird sie sich öffnen. An Bord des Eisbrechers „Sir Wilfried Laurier“ werden Unterwasser-Archäologen der Nationalparkbehörde Parks Canada und Experten des Hydrographischen Dienstes und der Küstenwache die Suche in der Queen Maud-Bucht südwestlich der King William Insel beginnen. Etwa 400 Quadratkilometer groß ist das Seegebiet, das abgesucht wird, berichtet Ryan Harris von Parks Canada, der wissenschaftliche Leiter der Expedition. Bei der Suche wird mit Echolot gearbeitet, „aber wir nutzen auch das Wissen der Inuit, das auf ihren überlieferten Geschichten beruht“, sagt Harris. „Die Schiffe sind die Verkörperung eines der größten Kapitel der Polarerforschung. Dies für die kanadische und die britische Geschichte von großer Bedeutung.“ In den vergangenen 150 Jahren hatten rund zwanzig Expeditionen nach den Schiffen gesucht. „Wir sind vorsichtig optimistisch, dass wir die Schiffe finden werden.“

Sir Louis Kamookak?

Erste Untersuchungen des Meeresbodens waren 2008 vorgenommen worden, nun folgt der zweite Versuch, und wenn dieser Sommer den Erfolg nicht bringt, folgt eine dritte Expedition 2011.

Ein Erfolg wäre für alle Beteiligten ein Beweis, dass die Überlieferungen der Inuit historisch korrekt sind. Was es für ihn persönlich bedeuten könnte? Louis Kamookak lacht. „Vielleicht werde ich ja zum Ritter geschlagen, wenn die Schiffe gefunden werden. Dann wäre ich Sir Kamookak.“ Wie einst John Franklin.

Gerd Braune

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