Ausdehnung des Meereises erreicht wieder Minimalwerte

Ottawa, 16. September 2011. Die Eisfläche der Arktis hat in diesem Sommer den Minimum-Rekord des Jahres 2007 gebrochen oder nahezu erreicht. In den Sommermonaten ging das Eis im Arktischen Ozean auf 4,33 Millionen Quadratkilometer zurück, meldet jetzt das US-amerikanische Nationale Schnee- und Eisdatenzentrum. Dies wäre seit Beginn der Satellitenmessungen 1979 die zweitgeringste Sommereisfläche. Vor wenigen Tagen hatte die Universität Bremen errechnet, dass in diesem Jahr ein neuer Negativrekord aufgestellt worden sei.
Wissenschaftler sehen die Eisfläche nahe unter dem Negativrekord von 2007

Der Eisverlust gilt als Beleg für Klimawandel und steigende Temperaturen. Nach den Berechnungen des Nationalen Schnee- und Eisdatenzentrums (NSIDC) an der Universität von Colorado in Bolder war nur vor vier Jahren der Eisverlust etwas größer als in diesem Jahr. Im September 2007 errechnete das NSIDC eine Eisfläche von lediglich 4,17 Millionen Quadratkiliometern errechnete. „Wir sehen keine Trendwende beim Eisverlust. Eine Erholung ist nicht in Sicht“, sagte die Klimatologin Julienne Stroeve. Es sehe so aus, als ob „vier bis fünf Millionen Quadratkilometer die neue Realität sind.“ Laut NSIDC wurde die geringste Eisausdehnung am 9. September erreicht.

Dagegen hatte eine Forschergruppe um Georg Heygster von der Universität Bremen vor wenigen Tagen mitgeteilt, dass das Meereis am 8. September 4,24 Millionen Quadratkilometer und damit ein historisches Minimum errecht habe. Diese Wissenschaftler gehen davon aus, dass 2007 die Eisfläche 4,267 Millionen Quadratkilometer groß war. Das in Bremerhaven ansässige Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung legt für 2007 eine Eisfläche von 4,3 Millionen Quadratkilometern zugrunde. Forschungsinstitute verwenden unterschiedliches Datenmaterial und unterschiedliche Satellitensensoren. Dadurch ergeben sich voneinander abweichende Berechnungen der Meereisfläche. Je fragmentierter das Eis ist, umso schwerer ist die Kalkulation. Alle Daten und Berechnungen der Eisfläche bestätigen aber den anhaltenden Trend nach unten.

Viermal in fünf Jahren weniger als fünf Millionen Quadratkilometer

In den fünf Jahren seit 2007 lag die Eisfläche im Sommer viermal unter fünf Millionen Quadratkilometern. Dagegen waren von 1979 bis 2000 durchschnittlich 6,71 Millionen Quadratkilometer des Eismeers eisbedeckt. Arktisches Meereis friert und schmilzt in einem Jahreszyklus. Die niedrigste Ausdehnung wird am Ende des Sommers im September erreicht. Danach bildet sich langsam neues Eis. Die größte Ausdehnung wird im April am Ende des arktischen Winters erreicht. Dann liegt die Eisfläche bei 14 Millionen bis 15 Millionen Quadratkilometern.

Etwas überrascht ist die NSIDC-Wissenschaftlerin, dass der Rekord fast gebrochen wurde, obwohl die Wetterbedingungen für die Eisschmelze nicht so günstig waren wie 2007. Damals hätten ein stabiles Hochdruckgebiet über der Beaufort-See und dem kanadischen Arktisarchipel, der Zustrom warmer Luft aus dem Süden und ein klarer Himmel den Schwund des Eises begünstigt, erläutert Julienne Stroeve. In diesem Jahr habe im August ein Tiefdruckgebiet aber den Eisverlust gebremst. Der Hauptgrund, dass dennoch so viel Eis verloren wurde: „Die Eisdecke ist sehr dünn“, sagt Stroeve. Gab es noch vor einigen Jahren rund zwei Millionen Quadratkilometer Eis, das mehr als fünf Jahre alt war, sind es heute nur noch einige 100.000 Quadratkilometer. „Wir haben wirklich eine große Menge an altem und dicken Eis verloren“, meint die Wissenschaftlerin. Neues junges Eis ist weniger stark und damit anfälliger für die Schmelze im Sommer.

Sorge um schwindende Eisdicke

Der Unterschied zu 2007 ist nach Einschätzung von Professor Rüdiger Geerdes, Meereis-Physiker am AWI so gering, dass er angesichts der Messgenauigkeit der Satelliten praktisch keine Bedeutung hat. Geerdes ist über die geringe Eisfläche nicht überrascht, „weil die Eisdicke weiterhin gering ist beziehungsweise sogar abgenommen hat. Die Eisdicke ist die entscheidende Größe, wenn es um die Entwicklung der Eisausdehnung geht“. Im Sommer waren Forscher des AWI mit dem Forschungseisbrecher Polarstern bis zum Nordpol vorgedrungen und berichteten von einer sehr geringen Dicke des Meereises. Messungen hatten einen Durchschnittswert von 90 Zentimetern ergeben. Zum Vergleich: Im Jahr 2001 hatte die Meereseisdicke im Durchschnitt zwei Meter betragen. „Wir haben einen Zustand erreicht, bei dem die Eisdicke so gering ist, dass große Flächen des Nordpolarmeers im Sommer völlig schmelzen können“, meint Geerdes.

Diese Entwicklung und das Auftreten von extrem geringen Eisausdehnungen in
fünf aufeinander folgenden Jahren deuteten sehr stark auf einen anthropogenen, also vom Menschen verursachten Einfluss hin, meint Geerdes. Natürliche Schwankungen spielten auch eine Rolle, könnten aber als alleinige Ursache wohl weitgehend ausgeschlossen werden. Auch für die Forscher um Georg Heygster scheint es klar zu sein, dass der anhaltende anhaltende Eisschwund „eine Folge der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung mit globalen Folgen“ ist.

„Muster wachsenden starken Eisverlusts“

Der Klimaexperte des WWF, Martin Sommerkorn, sagte, die jüngsten Daten seien kein isoliertes Ereignis, sondern passten in ein Muster wachsenden starken Eisverlustes. „Wir sehen die Symptome der Veränderung in den Walrossen, die an das Land gezwungen werden, und in den Eisbären, die große Strecken zwischen Eis und Land schwimmen müssen. Aber es ist nicht nur ein Problem für die Eisbären, dies ist ein globales Problem für die Menschen.“ Der dramatische Verlust an Meereis in der Arktis werde wahrscheinlich die Welt-Wettersysteme weiter stören. „Die Auswirkungen verbleiben nicht in der Arktis. Sie werden global in Trockenheiten, Überflutungen und extremem Wetter zu fühlen sein.“ Eine Trendwende sei kurzfristig nicht möglich, langfristig aber durch die Umstellung auf erneuerbare Energie erreichbar.

Gerd Braune

© Gerd Braune
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