Kanada zeigt in der Arktis wieder militärische Präsenz

Resolute/Nunavut, 26. Juli 2011. Der kanadische Verteidigungsminister Peter MacKay spricht von Kanadas „größter Operation der jüngeren Geschichte“. Mit 1000 Soldaten und Ranger, Kampf- und Transportflugzeugen und Eisbrechern wird Präsenz in der Polarregion gezeigt. Kanada unterstreicht damit auch seine Souveränität über Land und Gewässer der Arktis. Der Zweck der Übung ist aber vor allem ziviler Art: Bergungsmaßnahmen nach einem Flugzeugabsturz in der Arktis und einem Schiffsunglück in der Nordwestpassage werden geübt.
Übung Nanook soll Souveränität festigen, dient aber vor allem der Planung für mögliche Unglücke in der Nordpolregion

Im langen dunklen Winter ist Resolute auf der Cornwallis-Insel ein verschlafenes Inuit-Dorf in der Arktis. Aber jetzt herrscht auf dem Schotterpisten-Flugplatz der 300 Einwohner zählenden Gemeinde Hochbetrieb. Resolute, 900 Kilometer nördlich des Polarkreises und 1700 Kilometer vom Nordpol entfernt, ist im Sommer, wenn die Sonne nicht untergeht, nicht nur der Ausgangspunkt für Forschungsexpeditionen. Alljährlich ist die Gemeinde Stützpunkt für Kanadas Militärübung  „Nanook “. Hercules-Transportmaschinen bringen bereits die Ausrüstung für Soldaten und Ranger. „Wir hatten heute schon 15 Maschinen“, berichtet Tabitha Mullin, eine Inuk-Frau, die am Flugplatz arbeitet. Staub wirbelt auf, wenn die Maschinen aufsetzen, denn die Arktis ist im Sommer eine Wüste aus Steinen und Sand. Tag für Tag sind es mehr Maschinen. „Wir haben eine Menge Bewegungen. Wir sind schon knapp an Flugbenzin“, erzählt Tabitha Mullin.

Nanook – der Eisbär

Am 8. August beginnt „Nanook 11“. „Eisbär“ heißt das in der Inuit-Sprache Inuktitut. Unter der konservativen Regierung von Premierminister Stephen Harper ist „Nanook“ zu einer Demonstration militärischer Präsenz in der Arktis geworden. „Es geht darum, die permanente und saisonale Präsenz, die wir im Norden haben, zu vergrößern“, sagt Minister MacKay. Erwartet wird , dass sich auch Harper blicken lässt. Harper, der immer wieder von der Notwendigkeit spricht, Kanadas Souveränität im Norden zu verteidigen, die Militärpräsenz aufzubauen und vor allem auf Russland als potenziellen Gegner blickte, hat diesbezüglich viel gemein mit Russlands Premier Wladimir Putin, der sich ebenfalls gerne in der Arktis sehen lässt. Erst jüngst hat Putin den Bau eines Hafens auf der Halbinsel Yamal angekündigt. Auch will Russland seine Truppen in der Arktis verstärken.

Dies alles vollzieht sich vor dem Hintergrund des Klimawandels, der die Arktis öffnet, und dem wachsenden Bedarf an Rohstoffen und dem Ringen der Arktisstaaten um Souveränitätsrechte im Nordpolgebiet. Im Winter ist der Arktische Ozean fast völlig eisgedeckt, im Sommer aber schwindet die Eisfläche drastisch. Die Arktis wird für Rohstoffsuche und Schifffahrt immer interessanter. Die Anrainerstaaten USA, Kanada, Dänemark/Grönland, Norwegen und Russland erheben Ansprüche auf Nutzung des Meeresbodens über die 200-Seemeilenzone hinaus. Russland, Kanada und Dänemark könnten sogar den Meeresboden direkt am Nordpol für sich reklamieren. Moskau hat diese Forderung bereits erhoben.

Wertvolle Rohstoffvorkommen

Die Arktis gilt als riesiges Erdöl- und Erdgaslager. Hier sollen sich 13 Prozent der unentdeckten Vorkommen befinden. Allerdings liegen sie überwiegend in Küstennähe und sind vom Streit um Hoheitsrechte weitgehend unberührt. Außerhalb der 200 Seemeilen können dennoch wertvolle Rohstoffvorkommen liegen. Diesen Zugriff wollen sich die Anrainer sichern. Entschieden werden die Gebietsansprüche aber auf wissenschaftlicher Basis im Rahmen der UN-Seerechtskonvention. In den kommenden Jahren müssen die Staaten Daten vorlegen, die beweisen, dass der Meeresboden Fortsetzung ihres Festlandssockels ist. Der kanadische Eisbrecher Louis S. St. Laurent ist Anfang Juli zu einer Expedition ins Eismeer aufgebrochen, wo Kanadier zusammen mit Experten auf der US-amerikanischen Healey den Meeresboden untersuchen werden. Die Russen haben den Eisbrecher Academik Fyodorov ins Eismeer geschickt.

Harper pflegte bisher in Stellungnahmen zur Arktis zwar gerne militaristische Rhetorik.Wikileaks enthüllte aber im Frühsommer, dass der Premier in Gesprächen mit US-Diplomaten und Nato-Offiziellen die Gefahr einer militärischen Konfrontation in der Arktis heruntergespielt. „Wir wissen jetzt, dass auch Harper keine militärische Bedrohung in der Arktis sieht“, sagt der Politologe Michael Byers von der Universität von british Columbia. Nanook sei aber unabhängig von militärischer Bedrohung nützlich. „Kanada hat ein riesiges Territorium in der Arktis. Wir werden mehr wirtschaftliche Aktivitäten sehen, mehr Tourismus, Bedrohungen der Umwelt durch Unfälle“, sagt Byers. Zudem fürchten Experten, dass die Arktis von Kriminellen für Drogen-, Waffen- und Menschenhandel oder terroristische Akte genutzt werden könnte. „In diesem Zusammenhang ist Militärpräsenz in der Arktis wichtig“, meint Byers. Nanook sei eine Militärübung für zivile Zwecke: „Niemand übt für einen Krieg gegen Russland.“

Ranger - „Augen und Ohren der Streitkräfte im Norden“

Die Arktisstaaten haben in jüngster Zeit trotz ihre Interessenkonflikte die Zusammenarbeit etwa im Arktischen Rat verstärkt. Kanada wird mit der Übung dennoch deutlich machen, dass es nicht nur die Souveränität über die Landmasse, sondern auch über die Wasserwege der Nordwestpassage hat, was die USA und Europa bestreiten. Über drei Wochen erstreckt sich die Operation, bei der Expeditionen auf die Baffin- und Ellesmere-Insel unternommen werden. Eine wichtige Rolle spielen neben den Berufssoldaten die Ranger, eine zum Großteil aus Inuit und Indianern bestehende Reservistentruppe des Verteidigungsministeriums. Die Ranger verstehen sich als „Augen und Ohren der kanadischen Streitkräfte im Norden“. In den vergangenen Jahren haben sie mehrmals Schiffe gesichtet, die unangemeldet in kanadische Gewässer einfuhren.

Philipp Manik in Resolute sieht der Übung gespannt entgegen. Der 22-jährige Inuk ist seit zwei Jahren Mitglied der Ranger, ebenso sein jüngerer Bruder Inoot. Mehrmals im Jahr geht er mit anderen Rangern auf längere Patrouillen auf der Cornwallis-Insel. Den August wird er mit den Soldaten von Nanook verbringen, die eine Zeltsiedlung nahe dem Flugplatz von Resolute als Stützpunkt haben. Als Ureinwohner der Arktis können sie den Soldaten wichtige Hinweise für die Orientierung und das Überleben in dieser Region geben. „Wir haben die Aufgabe, die die Soldaten zu führen und sie zu sichern“, schildert Philipp seine Aufgabe. Der junge Mann, seit frühster Jugend ein Jäger, macht deutlich, dass es nicht um Schutz vor menschlichen Eindringlingen geht. „Wir sind da zur Raubtierkontrolle. Wir schützen die Soldaten vor Eisbären, die sich in das Lager verirren könnten.“

Gerd Braune

© Gerd Braune
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