Shell beginnt Ölsuche
im Arktischen Ozean

Anchorage/Ottawa, 26. Februar 2012. Im Arktischen Ozean soll die Suche nach Öl wieder aufgenommen werden. Nachdem zwanzig Jahre lang nahezu völlig auf Explorationsarbeiten verzichtet worden war, will der Ölkonzern Shell in diesem Sommer in der Tschuktschen-See zwischen Alaska und Sibirien und in der Beaufort-See Probebohrungen vornehmen. Im Meer vor Alaska werden mehrere Milliarden Barrel Öl und große Mengen Gas vermutet. Umweltschützer fürchten, dass Shells Vorhaben den Startschuss für eine massiven Ansturm auf Eismeer-Öl darstellen und das Ökosystem bedrohen könnte.
Probebohrungen für diesen Sommer in der Tschuktschen- und der Beaufort-See geplant

Shell Gulf of Mexico Inc. hofft nach Aussage seines für Alaska zuständigen Vizepräsidenten Pete Slaiby, im Juli mit den Bohrungen beginnen zu können. Noch fehlen einige Genehmigungen. Die grundsätzliche Genehmigung hatte das US-„Bureau of Ocean Energy Management“ (BOEM) im August und Dezember erteilt, als es den Explorationsplänen von Shell für beide Meeresgebiete zustimmte. Jetzt genehmigte das US-Innenministerium den Notfallplan von Shell im Falle eines Ölunglücks in der Tschuktschen-See. Für die Beaufort-See steht die Entscheidung noch aus. Die Lektionen der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko seien berücksichtigt worden, sagt Innenminister Ken Salazar. Die „vorsichtige Exploration“ sei Teil der Politik von Präsident Barack Obama, die sichere und verantwortungsvolle Produktion aus heimischen Öl- und Gasquellen zu fördern.

Zur Zeit ist die Tschuktschen-See noch eisbedeckt. Erst im Sommer wird dieser Teil des Arktischen Ozeans eisfrei sein. Das Fenster für die Probebohrungen ist klein: Rund um den 24. September müssen in der Tschuktschen-See die Bohrungen bereits wieder eingestellt werden, etwa fünf Wochen vor der Rückkehr des Eises. In der Beaufort-See muss Shell in den Tagen der Wanderung der Grönlandwale und der Inuit-Jagd die Arbeit unterbrechen.

Keine Testbohrungen seit 1992

Die 80-er Jahre hatten zahlreiche Bohrungen im Festlandssockel in der Beaufort- und der Tschuktschen-See und in dem zur Bering-See gehörenden Nord-Aleuten-Becken gesehen. Nach einigen unbefriedigenden Testergebnissen und dem Rückgang des Ölpreises 1986 zog sich die Industrie zurück. In der Tschuktschen-See fanden letzte Probebohrungen 1992 statt. In der Beaufort-See wurde nach 1993 nur noch an zwei Stellen gebohrt, dies aber nahe an der Küste in flachem Wasser, so dass von Offshore-Bohrungen in diesen Fällen meist nicht gesprochen wird.

Aber mit dem starken Rückgang des Sommer-Meereises in der Arktisdurch Klimaveränderungen in den vergangenen Jahren und der wachsenden Nachfrage nach Öl ist das Interesse an der Ölförderung im Meer im Bereich des Kontinentalschelfs gestiegen. Öl wird in Alaska bisher vor allem auf dem Land gefördert. Es gibt einige küstennahe Förderstellen, die aber nicht aus schwimmenden Plattformen bestehen, sondern wegen der geringen Wassertiefe auf angeschütteten Inseln errichtet wurden.

"Neues Öl für Trans-Alaska-Pipeline"

Nun will Shell weiter aufs Meer hinaus gehen. Das Explorationsgebiet in der Tschuktschen-See, der „Burger Prospect“, liegt etwa 110 Kilometer von der Küste entfernt, aber in einer Wassertiefe von nur 140 Fuß (40 bis 50 Meter). Im Kontinentalschelf Alaskas (Outer Continental Shelf/OCS, siehe Karte) vermutet das BOEM unentdeckte, technisch abbaubare Ölreserven in der Größenordnung von 26 Milliarden Barrel und Gasreserven von 3,7 Billionen Kubikmeter. Jeweils etwas mehr als die Hälfte könnten in der Tschuktschen-See liegen. Die Förderung in der See soll den Rückgang der Ölproduktion an Land bei Prudhoe Bay ausgleichen. „Neues Öl für die Trans-Alaska-Pipeline“ und Zehntausende Jobs verspricht Shell.

Im Februar 2008 hatte Shell die Lizenzen ersteigert. Der Lizenzverkauf in Anchorage ergab den einen Rekordbetrag von fast 2,7 Milliarden Dollar (rund 1,8 Milliarden Euro). Noch nie wurde für Förderlizenzen in Alaska so viel geboten. Insgesamt gingen 667 Gebote für 488 Parzellen in dem 120.000 Quadratkilometer großen Gebiet der Tschuktschen-See ein. Mit dem Erwerb der „lease“, die eine Laufzeit von etwa zehn Jahren hat, erhält das Unternehmen das Recht, in dem Gebiet Öl und Gas zu fördern. Shell erwarb rund die Hälfte der Lizenzen und investierte etwa zwei Milliarden Dollar, gefolgt von ConocoPhillips.

Umweltschützer versuchen Offshore-Suche zu stoppen

Aber das Gebiet ist auch Lebensraum von Eisbären, Walen, Robben und Meeresvögeln. Während Shell erklärt, es habe ohne Zwischenfall in der Vergangenheit mehr als 35 Ölbohrungen im Meer bei Alaska ausgeführt, blicken Gegner der Ölförderung auf den Golf von Mexiko, wo 2010 nach dem Desaster der Deepwater Horizon mehr als vier Millionen Barrel Öl ins Meer flossen. „Die hässliche Wahrheit“ sei, dass sich seitdem nur wenig verändert habe und Offshore-Bohrungen weiterhin gefährlich seien, sagt Lois Epstein von der Wilderness Society in Anchorage. Selbst wenn Shell den Anforderungen der Bundesregierung in seinen Notfallplänen nachkomme, „bedeutet das nicht, dass nach einem Ölunglück wirklich große Mengen Öl aus dem Eismer wieder eingesammelt werden können“.

Umweltschützer fürchten verheerende Folgen für das Ökosystem, wenn sich Öl im und dem Eis ausdehnt. Der Einsatz von Lösungsmittel würde zwar verhindern, dass Öl die Küste erreicht, bedrohe aber die Lebensgrundlagen der Menschen in den Arktisgemeinden, die von Fischfang und leben. „Die Risiken für ein fragiles Natursystem und die Ureinwohnergemeinden ist klar“, meint auch der Sierra Club. „Shell und anderen Ölunternehmen sollte nicht erlaubt werden, ihre riskanten, gefährlichen Pläne für Bohrungen und unberührten Gebieten fortzusetzen.“

Auslaufen des Bohrschiffs Nobel Discoverer in Neuseeland verhindert

Mit Klagen vor Gerichten versuchen die Organisationen, die Bohrungen noch zu stoppen. Greenpeace hat auf der anderen Seite des Erdballs den Kampf aufgenommen. Das für die Shell-Bohrungen vorgesehene Bohrschiff  Nobel Discoverer, das derzeit noch in Neuseeland liegt, soll sich jetzt auf den Weg in die Arktis machen. Ende vergangener Woche wurde es aber an der Ausfahrt aus dem Hafen von Taranaki gehindert. Greenpeace-Aktivisten blockierten ihren Weg und besetzten nach Berichten aus Neuseeland das Schiff, unter ihnen die neuseeländische Schauspielerin Lucy Lawless. „Wir haben gehandelt, um Shell an den Bohrungen in der Arktis zu hindern“, erklärte Nathan Argent von Greenpeace Neuseeland.

Gerd Braune

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Dieser Text erschien redaktionell bearbeitet in
Handelsblatt
Basler Zeitung (27. Februar 2012)