Fünf Tage auf dem Mars

Auf der kanadischen Arktis-Insel Devon Island gibt es keine permanente Siedlung. Im kurzen arktischen Sommer, in dem die Sonne nicht untergeht, fliegen Wissenschaftler zum „Haughton-Mars Project" ein. Der Haughton-Krater auf Devon Island ähnelt wie keine andere Landschaft auf der Erde dem Mars. Und viele von denen, die an dem Projekt teilnehmen, haben ein Ziel vor Augen: Eines Tages zum Mars zu fliegen oder zumindest an dieser Mission mitwirken zu können. Ich besuchte das Wissenschaftler-Camp im Sommer 2001, als das Projekt, das heute unter der Flagge des Mars-Instituts geführt wird, noch „NASA Haughton-Mars-Projekt“ hieß. Dies ist mein Bericht vom August 2001: Fünf Tage auf dem Mars.
Der Haughton-Krater in Kanadas Arktis ähnelt wie keine andere Landschaft der Erde dem Roten Planeten

Ist das wirklich die Erde oder doch ein anderer Planet? Braun und grau die Landschaft, wie verbrannt. Aber hier gibt es nichts, was verbrennen könnte. Nur Steine, Geröll, Erde, Sand und Matsch, vereinzelt Eis- und Schneefelder, Täler, durch die das Schmelzwasser fließt. Keine Bäume und Büsche, lediglich ein paar kleine Flecken mit Moos, einigen Gräsern und Blumen. Manchmal sind diese Oasen pflanzlichen Lebens nur eine Handfläche groß. Devon Island, eine Insel in der Hohen Arktis Kanadas, 900 Kilometer nördlich des Polarkreises - dies ist ein anderer Planet.

Erster Tag

Am Rande der Schotterpiste, auf der die Twin Otter-Flugzeuge von Resolute kommend landen, steht eine Wetterstation. Die Flagge des kanadischen Arktisterritoriums Nunavut weht im Wind. Einige hundert Meter entfernt liegt das Camp der Wissenschaftler. Hier stehen das Gemeinschaftszelt mit der Küche, das Zelt mit Computer, Internetanschluss und Labor, Zelte mit Lebensmitteln und Werkzeugen, eine Holzhütte mit Waschgelegenheit und Dusche und die beiden „Toilettenzelte". Etwas abseits liegt der Zeltplatz, auf dem die Forscher und ihre Gäste ihre Zelte aufgebaut haben. Es sind bunte, niedrige Zelte, die sich für Campen unter extremen Wetterbedingungen eignen. Der eisige Wind fegt über sie hinweg. Am Horizont, etwa zwei Kilometer entfernt, ist die zylinderförmige weiße „Habitat" zu sehen, die Mars-Station, in der sechs Wissenschaftler wohnen und arbeiten.

Schießübungen, eine Lektion besonderer Art

Auf den Tischen im Gemeinschaftszelt stehen zwei Globen vom Mars. Sie zeigen die Berge, Täler, Ebenen und eisbedeckten Pole des fernen Roten Planeten. Für die Wissenschaftler, die am Vorabend auf Devon Island eingetroffen waren, steht nach dem Frühstück eine Lektion besonderer Art auf dem Programm: „Schutz vor Eisbären." Einer ulkt: "Auf dem Mars gibt es doch keine Eisbären." Aber John Schutt macht klar: „Dies hier ist Eisbärenland." John, ein Geologe, ist der Chef im Camp. Der 53-jährige US-Amerikaner fand in den 80-er Jahren fand er mit einer Forschergruppe am Südpol den Meteoriten ALH84001, der vermutlich vom Mars stammt und Hinweise gab, dass es dort Formen mikrobischen Lebens geben könnte.

Nun führt er die Neuankömmlinge auf eine Anhöhe, wo als Zielscheibe ein großer Pappkarton steht. John Schutt demonstriert, wie das Gewehr geladen und entsichert wird, wie man anlegt, damit der Rückschlag das Gewehr nicht so verzieht, dass der Schuss weit sein Ziel verfehlt. Der Reihe nach wird geschossen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass wir einem Eisbären begegnen, ist gering, aber nicht Null", sagt John.

Der Haughton-Krater liegt etwa 15 Kilometer von der Küste entfernt. Meist halten sich die Bären dort auf, aber manchmal  laufen sie ins Landesinnere. Der der Schießlehrer beruhigt die Greenhorns: „Wir mussten noch nie einen Bären töten."

Korallenfossilien im arktischen Boden

Nur ein wenig abseits des Camps - die Zelte sind nicht mehr zu sehen, nur das leise Brummen der Generatoren ist noch zu vernehmen - beginnt die Weite, Einöde und Einsamkeit. Vor 400 Millionen Jahren war dieses Gebiet ein Korallenriff in einem tropischen Meer. Die Korallenfossilien, über die man stolpern kann, sind dafür ein überzeugender Beweis. Der Meeresboden driftete Richtung Norden und hob sich über die Wasseroberfläche. Auf dem Land siedelten sich Pflanzen und Tiere an.

Vor 23 Millionen Jahren ereignete sich die Katastrophe. Ein Meteorit mit etwa einem Kilometer Durchmesser schlug ein. Er schuf einen 20 Kilometer weiten Einschlagkrater. Gestein aus 1600 Meter Tiefe wurde in die Höhe geschleudert. Unter Druck und Hitze schmolz und verdampften die Felsen. Durch Vermischung verschiedener Gesteinsarten entstand neues Gestein, so genannte Breccien. Impakt-Strukturen nennen Geologen Regionen, in denen Meteoriten einschlugen. Charakteristisch für den Haughton-Krater ist die Fülle von Breccien, die die Geologen dort finden. Die grauen Hügel, die vom Kraterrand aus zu sehen sind, bestehen aus Breccien und waren nach dem „Schock" des Meteoriteneinschlags geschmolzenes Gestein.

Pascal Lee, der leitende Wissenschaftler des Projekts, blickt hinüber zu den  Hügeln. „In einem Bruchteil einer Sekunde wurde alles Leben ausgelöscht." Aber das Leben kehrte zurück. Im Kratergebiet enstanden Seen. Holzstücke und Rinozerosknochen, die gefunden wurden, zeigen, dass Devon Island einst voller Leben war.

Devon Island, eine polare Wüste

In den 70-er Jahren wurde der Haughton-Krater als Einschlagkrater identifiziert. 1996 schlug der damals 32-jährige Lee der Nasa vor, den Krater aufgrund offensichtlicher Parallelen zum Mars zu studieren. „Devon Island liegt in einer polaren Wüste. Auch der Mars mit Temperaturen zwischen minus 60 und minus 120 Grad ist eine polare Wüste. Auf dem Mars finden wir Einschlagkrater und Täler, Canyons und Ebenen wie auf dieser Insel."

Die Nasa akzeptierte Lees Vorschlag. Der Wissenschaftler schloss sich dem Nasa Ames Research Center in Moffet Field in Kalifornien an. Das „Haughton-Mars Project" wurde gegründet.

„Im Prinzip haben wir bereits die Technologie, um zum Mars zu kommen“, ist Pascal überzeugt. Das, was an Know-how und Ausrüstung noch fehle, könne entwickelt werden. „Der Mars ist nicht irgendein weit entferntes Objekt am Himmel. Es ist ein Ort, den wir bereits mit Sonden erreicht haben und den wir mit Menschen erreichen können. Wir können es in zehn bis 15 Jahren schaffen, wenn der politische Wille vorhanden ist - wie Anfang der 60-er Jahre, als John F. Kennedy die Mondlandung als Ziel vorgab."

 

Zweiter Tag

Acht Meter hoch ist die Mars-Station – „Mars Arctic Research Station" (MARS) -, die von der privaten Mars Society am Kraterrand errichtet wurde. Sechs Personen können hier arbeiten und leben. Auf den zwei Etagen befinden sich Labors, Arbeitstische mit Computern, Kameras, die die Aktivitäten auf die Website des Haughton-Mars-Projects übertragen, und die Schlafkabinen. Es ist keine vollständige Imitation eines Mars-Aufenthalts. Die Forschungsstation ist nicht wie vor Jahren das Biosphären-Experiment in der Wüste Arizonas eine hermetisch abgeschottete Welt.

Zwanzig Minuten bis zur Erde

Aber einige wichtige Technologien werden hier getestet. Während bei den Mondlandungen die Astronauten Signale von der Erde binnen einer Sekunde erhielten, benötigen sie von der Erde zum Mars je nach Stand der Planeten bis zu 20 Minuten. Werden Bilder von der Forschungsstation zum Nasa-Ames-Zentrum in Kalifornien übertragen, dann wird diese Zeitverzögerung eingebaut. „Wir simulieren die Zeitdifferenz. Wie können wir arbeiten, wenn wir nicht in ´realtime´ kommunzieren können? Wie verhalten wir uns, wenn wir eine Antwort auf eine Frage erst in 40 Minuten erhalten?" formuliert Steve Braham, Professor für Kommunikationstechnologie an der Universität von British Columbia, einige der Fragen. Die gesamte Technologie muss darauf ausgerichtet sein, dass die Astronauten bei einer Marsmission  wesentlich selbständiger handeln können als Astronauten auf dem Mond.

In der Mars-Raumstation bereiten sich die „Astronautin" Kelly Snook und ihre drei Kollegen Pascal Lee, Charles Cockell und Garet Mathews auf ihren Ausstieg vor. EVA - extravehicular activity - werden diese Ausflüge genannt. Sie legen Imitationen von Raumanzügen an. Ausgestattet sind sie mit Funkgeräten und mit einem Ventilationssystem, das unter der Glashaube Frischluft zuführt.

Der Anzug soll die Bewegungsfreiheit einschränken und damit den Aufenthalt auf dem Mars simulieren. 30 Minuten dauert das Anlegen der Anzüge. Samson Tootoovak geht mit seinen vier Kollegen die umfangreiche Checkliste durch. Samson bleibt in der Station. Der Ingenieurstudent und Angehörige des Volkes der Inuit aus der Arktisgemeinde Pond Inlet möchte einmal der erste Inuk im Weltraum sein.

Die Astronauten verlassen die Raumstation. Sie korrigieren die Antennen außerhalb der Station und begeben sich dann zu ihren Fahrzeugen. Ein futuristisch anmutendes Marsmobil und geländegängige All-Terrain-Vehicle (ATV) stehen bereit. Die Astronauten starten zu einer mehrstündigen Exkursion. Sie testen, wie exakt in dieser Felsenlandschaft Positionen bestimmt werden können, um geologisch interessante Stellen wieder zu finden. „Wir wollen auch sehen, wie effektiv wir von der Station aus einen Roboter über eine größere Distanz kontrollieren können", erläutert Kelly Snook.

Die Astronauten geben über das Global Positioning System (GPS) ihren genauen Standort an Samson durch. Ihre Stimmen klingen als kämen sie von einem fernen Planeten. Die Daten werden mit dem vorhandenen Kartenmaterial verglichen. Ganz allein sind die Astronauten nicht. Der Inuk Joe Amarualik folgt ihnen mit Gewehr. Man kann ja nie wissen…

Dritter Tag

Im Camp arbeiten Sean Murray und Michael Boucher an einer neuen Kommunikationstechnologie für einen Raumanzug. „Wir wollen von den Geologen hören, wie der Raumanzug und die Technologie für die Exkursionen auf dem Mars beschaffen sein soll." Die Firma Hamilton Sundstrand im US-Staat Connecticut, für die die Ingenieure arbeiten, war auch an der Entwicklung der Raumanzüge für die Mondlandung und den Space Shuttle beteiligt.

Mars-Anzug, leichter als Anzüge für Mondlandungen

Auch hier haben die Forscher eine Abkürzung parat: EMU, Extravehicular Mobility Unit, wird der Raumanzug genannt. Die derzeitigen Raumanzüge sind vor allem im Bereich des Oberkörpers beweglich, aber nicht für längere Wanderungen geeignet. Der Mars-Anzug muss sehr beweglich und erheblich leichter sein als die auf dem Mond oder von Spaceshuttle-Astronauten genutzten Anzüge. Der Mars hat ein Drittel der Anziehungskraft der Erde, der Mond nur ein Sechstel. Das gefühlte Gewicht soll bei 30 Kilogramm liegen, er darf also nicht schwerer als 90 Kilogramm sein.

Jetzt soll der Kontakt zwischen den Astronauten und ihrer Basisstation auf dem Mars und der Zentrale auf der Erde simuliert werden. Der Testastronaut, einmal ist es Lee, ein anderes mal der Geologe Gordon Osinski, schlüpft in den Oberteil des Anzugs. Sean und Michael setzen ihm eine Spezialbrille auf und befestigen davor einen Monitor, der nicht größer ist als ein Quadratzentimeter. Auf diesem Monitor kann der Astronaut Daten sehen und Kommandos empfangen, er kann Landkarten abrufen und seine Position bestimmen und beschreiben. Er kann in das Internet gelangen und über ein an der Außenseite des Raumanzugs angebrachtes „Mousepad" selbst Befehle eingeben. Ein System zum Erkennen von Stimmen versetzt ihn in die Lage, seine Beobachtungen zu schildern, die dann sofort vom Computer niedergeschrieben werden.

Feldversuche in marsähnlicher Felsenlandschaft

Die Feldversuche in einer marsähnlichen felsigen Umgebung liefern den Technikern wichtige Erkenntnisse für die Perfektionierung ihrer Systeme. Die Kommunikation läuft über Hochgeschwindigkeits-Mikrowellen. Die Mikrowellen prallen von den Felsen ab, was den Aufbau von Verbindungen erschwert. Sean und Michael sind am Ende dieses Tages zufrieden. Sie haben einen Testastronauten mit einem ATV, auf dem eine Antenne installiert ist, in ein Tal geschickt. Von dort begab sich der Astronaut zu Fuß in einen Canyon. Es gelang, die Verbindung zu ihm herzustellen und alle Systeme zu aktivieren. „Bisher dienten die Systeme des Raumanzugs vor allem dazu, den Astronauten zu schützen. Für den Mars benötigt der Wissenschaftler aber mehr Kommunikation, ein System, das ihn auf seinen Exkursionen leitet", schildern die Ingenieure die neue Technologie. „Die Kombination dieser Einheiten ist der neue Ansatz, den wir hier testen."

Sally Silverstone, die Köchin, tischt zum Abendessen zwei große gebackene Schinken auf. Die Marsmenschen sind begeistert. Sally freut sich über die Komplimente. „Das beste Restaurant im weiten Umkreis", sagt sie und lacht.

Vierter Tag

Gordon „Oz" Osinski schreibt seine Doktorarbeit über den Haughton-Krater. Auch heute fährt er wieder hinaus, um die Geologie des Kraters zu untersuchen. „Dies ist einer der am besten zugänglichen Einschlagkrater der Welt. Nichts bedeckt ihn", sagt er. Die Wissenschaftler fanden im Haughton-Krater und an seinem Rand so genannte „hydrothermal vents". Dies bedeutet, dass an diesen Stellen heiße Luft oder heißes Wasser aus dem Erdinneren an die Oberfläche gepresst wurde. „Hydrothermale Aktivitäten",  heiße Quellen und Geysire, gibt es also nicht nur in Regionen mit Vulkanen, sondern offenbar auch bei Einschlagkratern. „Dies sind warme und feuchte Stellen, an denen sich Leben entwickeln könnte", sagt Gordon. Dies soll in den kommenden Jahren erforscht werden.

Mikrobisches Leben auf dem Mars?

Meteoriteneinschläge könnten nicht nur Leben zerstört, sondern durch Energie und Wasser, die freigesetzt wurden, Entwicklungschancen zumindest für einfaches Leben geschaffen haben. Gab es solche durch Meteoriteneinschlag geschaffene „heiße Stellen" auch auf dem Mars? Und gab es an diesen Stellen mikrobisches Leben? Die Forschungen auf Devon können bei einer Mars-Mission helfen: „Wir können Gebiete bestimmen, in denen die Chancen am größten sind, Leben auf dem Mars zu finden", meint Gordon.

Leben auf dem Mars zu finden - das treibt viele der Wissenschaftler hier um. Immer wieder wird es als die entscheidende Frage formuliert. Dabei ist es für manche nicht einmal entscheidend, dass Leben - und darunter ist stets mikrobisches Leben zu verstehen, nicht irgendwelche „grünen Männlein" - tatsächlich existiert oder existierte. „Ob wir Leben finden oder nicht, wir wollen die Antwort wissen", sagt der Biologe Charles Cockell.

Canyons und Täler wie auf dem roten Planeten

Pascal Lee betrachtet Luftaufnahmen vom Haughton Krater und Bilder vom Mars. Sie zeigen eine frappierende Ähnlichkeit. Bei Canyons und Tälern können Parallelen zwischen Mars und Devon Island gezogen werden.
Und Pascal hat nach fünf Jahren Arbeit auf Devon Island Zweifel an der gängigen Theorie, dass der Mars in Urzeiten ein Planet mit einem warmen Klima, Regen und Flüssen war. Flüssiges Wasser und Energie, also Wärme, sind Voraussetzungen für Leben, und darauf stützen sich die Erwartungen, dass es auf dem Mars Leben in mikrobischer Form geben könnte.

Auf Devon Island wurden Täler durch Wasser geschaffen, das offen an der Erdoberfläche floss. Die Wissenschaftler fanden aber auch heraus, dass viele Täler durch Schmelzwasser, das sich unter einer geschlossenen Eisdecke bildete, geformt wurden. „Könnten nicht auch auf dem Mars die Täler dadurch entstanden sein, dass die Eisschicht an ihrer unteren Seite schmolz, nicht weil ein warmes Klima existierte, sondern weil der Boden noch warm genug war?" Auch bei den Canyons sind Parallelen festzustellen. Auf Devon Island wurden die Canyons nicht durch mäandernde Flüsse wie etwa der Grand Canyon des Colorado geschaffen, sondern durch wanderndes Eis. Auch auf dem Mars könnten einige Canyons durch Gletscher, andere durch Erdbeben geschaffen worden sein.

Die Theorie, dass der Mars ein warmes Klima hatte, ist für Pascal eine „geozentrische Sichtweise". „Wir sehen immer die Erde in anderen Planeten." Und der Verzicht auf diese Theorie müsse auch nicht dazu führen, dass kein Leben auf dem Mars existiert oder existiert haben könnte. „Möglicherweise war auf dem Mars nicht das Klima, sondern der Boden warm, und dies kann die Möglichkeit geboten haben, dass Leben entstand."

Fünfter Tag

Über „Nacht" ist es kalt geworden. Am Vortag war die Quecksilbersäule noch auf tropische 12 Grad gestiegen, jetzt liegt die Temperatur bei Null Grad, mit dem Windkältefaktor gar bei minus drei bis vier Grad. Im Wissenschaftlerzelt sitzen der Mikrobiologe James McAvin und der Mediziner Tam Czarnak mit dicken Jacken und Mützen vor den Laboreinrichtungen. Bodenproben werden anhand von DNA-Mustern, die James McAvin mitgebracht hat, daraufhin untersucht, ob und welches mikrobische Leben auf Devon Island zu finden ist. Auf diese Weise werden Testverfahren und Protokolle entwickelt, anhand derer Astronauten auf dem Mars den Boden untersuchen können.

Bob, der Heliumballon

Für den Ozeanographen Dale Stokes und den Biologen Charles Cockell steht  ein Ausflug zum Trinity Lake im Kratergebiet auf dem Programm. Seit Tagen erforschen sie diesen von Schmelzwasser gebildeten See auf mikrobisches Leben, also Algen, Bakterien und andere mikroskopische Lebensformen. Die Kamera, mit der sie den Grund des flachen Gewässers absichen, zeigt Schlamm und Algenmatten. Dale nimmt eine Handvoll Schlamm. Auf der der Sonne zugewandten Seite sind braune Tröpfchen zu sehen, ein Hinweis auf Cyano-Bakterien. „Sie produzieren Pigmente zum Schutz vor ultravioletter Strahlung, also einen natürlichen UV-Schutz."

Zurück im Camp zerren die beiden Wissenschaftler Bob aus einem Zelt. Natürlich ist Bob eine Abkürzung: Bob ist ein roter Heliumballon, ein schwebender Beobachtungsballon (Buoyant Observer Balloon). Bob bewegt sich einige Meter über dem Erdboden. Die Auftriebswirkung durch Helium und seine Fracht sind sorgfältig austariert. An einer Leine und einer Stange zieht er eine Kamera, Messgeräte für Temperatur und UV-Strahlung und das Global Positioning System hinter sich her. Die Kamera macht alle 30 Sekunden Aufnahmen vom Boden und speichert die genaue Position. „Wir sind dadurch in der Lage, mit relativ einfachen Mitteln eine größere Fläche aus nächster Nähe genau zu erfassen. Da der Mars eine Atmosphäre hat, könnte dort durchaus ein Ballon eingesetzt werden", meint Dale.

Faszinierende, schrecklich monotone Landschaft

Am Nachmittag trifft die Twin Otter am Krater ein. Eine Gruppe neuer Wissenschaftler trifft ein, einige verlassen die Kraterregion. Noch einmal werfen sie einen Blick auf die faszinierende und zugleich schrecklich monotone Landschaft. „Hoffentlich sieht nicht irgendwann einmal die ganze Erde so aus", sagt einer. Eine Stunde später landet das Flugzeug in Resolute. Colleen Lenahan, Kontaktperson für das Haughton-Mars-Projekt in Resolute, begrüßt die Rückkehrer: „Willkommen auf der Erde."

Nachtrag: Ende August verließen alle Wissenschaftler Devon Island. Die letzten Tage waren bereits von Schneestürmen geprägt. Zurück blieben das große Gemeinschaftszelt, ein Zelt mit Lebensmittelkonserven und Habitat. Im November wird die Sonne untergehen und sich bis Anfang Februar nicht mehr zeigen. Auf dem „Mars" herrscht dann permanente Dunkelheit.

Gerd Braune

© Gerd Braune
Die auszugsweise Übernahme dieses Textes ist nur mit dem Quellenhinweis „Gerd Braune/www.arctic-report.net“ gestattet. Die vollständige oder weitgehende Verwendung zur Publikation bedarf meiner vorherigen Zustimmung

Dieser Text erschien redaktionell bearbeitet unter anderem in:
Kölner Stadtanzeiger
Stuttgarter Zeitung (1. September 2001)
Luxemburger Wort (als Serie am 5., 6., 7., 8. und 10. September 2001)
Frankfurter Rundschau (11. September 2011)
Berliner Zeitung (29. September 2001)
Rheinpfalz (27. Oktober 2001)
Hannoversche Allgemeine Zeitung (19. Oktober 2001)