Inuit geben „bedingtes Ja“ zu Rohstoffförderung

Nuuk/Ottawa, 13. Mai 2011. Die Inuit sehen in der wirtschaftliche Erschließung der Arktis und der Rohstoffförderung eine Chance, ihren Gemeinden Wohlstand zu bringen. Sie wollen aber mitentscheiden und sicherstellen, dass die Umwelt und ihre Lebensgrundlagen geschützt werden. In einer in Nuuk in Grönland veröffentlichten Erklärung sagen sie Ja zur Rohstoffförderung, verbinden dies aber mit zahlreichen Bedingungen. Das Dokument ist nicht rechtlich bindend, kann aber zu einer wichtige Richtlinie bei Entscheidungen über Investitionen in der Arktis werden.
Ureinwohner legen Prinzipien für Förderung von Öl, Gas und Mineralien fest

Der Inuit Circumpolar Council (ICC), der die 150.000 Inuit Grönlands, Kanadas, Alaskas und Sibiriens vertritt, legte am Rande der Sitzung des Arktischen Rates der acht Staaten des Nordpolarraums in der grönländischen Hauptstadt eine „Erklärung zu Prinzipien der Ressourcen-Entwicklung in Inuit Nunaat“ vor, wie sie ihren Lebensraum nennen. „Wir wollen eine Chance auf eine Entwicklung, die sich an unserer Gesellschaft orientiert“, sagte ICC-Präsident Aqqaluk Lynge der Zeitung „Nunatsiaq News“. Er wünsche sich, dass die Inuit nicht mehr als „die Cartoon-Eskimos von vor 300 Jahren“ gesehen werden.

In ihrer Erklärung unterstreicht ICC den Rohstoffreichtum der Region und die wachsende Nachfrage nach Mineralien, Öl und Gas aus der Arktis, aber auch die Veränderungen durch den Klimawandel. Die Förderung nicht erneuerbarer Rohstoffe könne ein wichtiger und dauerhafter Beitrag zum Wohlergehen der Inuit sein. Sie müsse aber so erfolgen, dass Umweltschäden vermieden werden und Inuit-Gemeinden profitieren, indem Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden und das soziale und kulturelle Leben gewahrt und entwickelt wird.

Balance von wirtschaftlicher Entwicklung und sozialem Fortschritt

Mit dem Klimawandel, der zu einem Rückgang der Eisfläche im Meer und auf dem Land führt, und dem Rohstoffboom der vergangenen Jahren ist das Interesse an der wirtschaftlichen Ausbeutung der Arktis gestiegen. Die US-amerikanische Geological Survey (USGS) ermittelte, dass im arktischen Festlandssockel 90 Milliarden Barrel Öl liegen könnten, was 13 Prozent der unentdeckten globalen Ölreserven wären, sowie 48 Billionen Kubikmeter Erdgas, rund 30 Prozent der unentdeckten Gasreserven. In Öl-Äquivalent wären dies 412 Milliarden Barrel Öl oder 22 Prozent der unentdeckten, technisch abbaubaren Reserven der Welt. 84 Prozent dieser geschätzten Ressourcen der Arktis liegen im Meer, vor allem in Küstennähe. Zudem liegen auf dem Festland große Mineralienvorkommen wie Eisenerz, Uran, Zink, Gold sowie Diamanten. Umweltschützer fürchten, dass ein Ölunglück in arktischen Gewässern schlimmere Folgen hätte als in südlichen Regionen wie im Golf von Mexiko. Sie fordern ein Moratorium für Ölbohrungen im Eismeer, weil es keine Möglichkeiten gebe, dort eine Ölpest zu stoppen. Die Abgeschiedenheit der Arktis erschwert zudem rasche Gegenmaßnahmen.

Die Inuit fordern eine „angemessene Balance“ bei der Wirtschaftsentwicklung. Gestützt auf die „UN-Deklaration zu den Rechten indigener Völker“ und ihre eigene „Inuit-Erklärung zur Souveränität in der Arktis“ erheben sie den Anspruch, „aktive und gleichberechtigte Partner“ bei allen Entscheidungen sein, die ihr Land betreffen. Wirtschaftsprojekte müssten vorab auf ihre Folgen für die Umwelt und die soziale Strukturen der Gemeinden untersucht werden, Investitionen dürften nicht zum „überwältigenden“ Zustrom von Arbeitskräften aus dem Süden führen. Die Inuit wollen, dass für sie Arbeitsplätze geschaffen werden und in Schulen und Ausbildung investiert wird. Sie fordern Schutz gegen Umweltverschmutzung durch Öl- und Gasförderung oder Bergbau.

Ausgleich regionaler Interessen

Das Dokument sucht einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen der Regionen. Während die Inuit in Alaska die Ölförderung an Land befürworten, im Meer aber ablehnen, hat Grönland im vergangenen Jahr die Ölsuche zwischen Grönland und Kanada zugelassen. In einigen Regionen ist Uransuche möglich, in anderen Gebieten ist sie untersagt.

„Dies ist der Ruf zu Vorsicht bei der Entwicklung der Arktis. Es ist kein direktes Ja, aber auch kein Nein“, urteilt Clive Tesar vom WWF-Arktisprogramm. Noch ist nicht abzusehen, ob das Papier mit den sehr kritischen Aussagen zur Ölförderung  und den Gefahren einer Ölpest Projekte scheitern lässt. Dennoch kann die Erklärung erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Arktis haben. In Kanada, wo weite Gebiete des Norden von Landrechteabkommen zwischen Regierung und Ureinwohnern erfasst sind, müssen Verträge über Nutzen und Auswirkungen eines Projekts ausgehandelt werden, bevor dieses in Angriff genommen werden kann. Damit kann die Inuit-Erklärung zu einer Richtlinie bei den Gesprächen zwischen Unternehmen und Ureinwohnern werden.

Gerd Braune

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Dieser Text erschien redaktionell bearbeitet am 14. Mai 2011 in der Stuttgarter Zeitung

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